5.1 Vier Lesestufen

5.1.1 Elementares Lesen

Warum sich überhaupt so ausführlich mit Lesen beschäftigen? Können wir nicht davon ausgehen, dass wir alle in unserer Grundausbildung bereits das Lesen ausreichend gelernt haben? Ja und nein. Wenn darunter bloß das Lesen von Wörtern und Sätze verstanden wird, dann ja. Aber das wörtliche Verstehen von Sätzen ist erst die erste Stufe im Prozess des Verstehens eines Textes. Sie ist zwar die notwendige Basis, von der aus erst wir uns ein tieferes Verständnis des Textes erarbeiten können. Sie ist aber nur dann ausreichend, wenn es um Unterhaltung oder um bloße Aneignung von Faktenwissen d. h. um statische Informationen geht.

Es ist wohl bezeichnend und alarmierend, dass wir in der heutigen “Informationsgesellschaft“ dazu neigen, diese allererste Lesestufe mit dem ganzheitlichen Leseprozess zu verwechseln. Obwohl zwar auch das Elementare Lesen (z. B. beim Lesen einer Zeitung, beim Lesen eines Buches zum Vergnügen im Urlaub usw.) seine eigene Berechtigung hat, ist es zum Erarbeiten von wissenschaftlichen Texten zu wenig. Die wahre Kunst des Lesens gibt sich nicht mit Einprägen (und Nachbeten) von Fakten zufrieden, sondern beruht auf Verständnis, Einsicht und Erkenntnis der Zusammenhänge.

Wir vermuten, dass gerade diese Verwechslung und das damit zusammenhängende Missverständnis über den Charakter des Lesens für viele Schwierigkeiten im wissenschaftlichen Schreibprozess mitverantwortlich sind. Lesen und Schreiben – so unsere These – verhalten sich komplementär zueinander. Weil viele Studierende sich (noch) nicht die höheren Lesefertigkeiten angeeignet haben, können sie diese Fähigkeiten beim Schreiben nicht umsetzen. Was beim Lesen meistens noch kaschiert werden kann, tritt beim Schreiben offen zu Tage: Wo keine Zusammenhänge verstanden oder Einsichten gewonnen wurden, können diese auch nicht in einer schriftlichen Argumentation dargestellt werden. Unser Prüfungssystem, das meist noch immer wesentlich auf Reproduzieren ausgerichtet ist, belohnt noch dieses Stehenbleiben auf dem basalen Leseniveau.

Lesen erschöpft sich nicht in einer Rezeption von Fakten, sondern fordert eine aktive Auseinandersetzung. Schon die Aneignung von Sachverhalten ist kein passiver Vorgang, sondern erfordert aktive Anteilnahme (Aufmerksamkeit, Konzentration) und konstruktive mentale Mitarbeit (Einordnung und Vernetzung in bestehendes Wissen). Dieser Grundsatz einer aktiven Lesehaltung gilt für alle vier Lesestufen und wird vor allem durch ständiges Fragen an den Text eingelöst.

Elementares Lesen als notwendige Basis wird in der Grundausbildung mehr oder weniger gut vermittelt bzw. trainiert. Die anderen Lesestufen hingegen fristen in unserem Bildungssystem leider ein Schattendasein: Sie werden zwar beim selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten vorausgesetzt, aber kaum systematisch gelehrt oder geübt.

5.1.2 Prüfendes Lesen

Mit dieser zweiten Lesestufe beginnt erst die eigentliche Fertigkeit des Erarbeitens bzw. Durcharbeitens eines Textes. Wir unterscheiden zwei verschiedene Techniken des prüfenden Lesens, die bei geübten Leserinnen bruchlos ineinander übergehen bzw. sich auch mehrmals abwechseln können: systematisches Durchblättern und ein erstes schnelles Durchlesen. Ziel beider Lesetechniken ist es, den Text einer gründlichen Inspektion zu unterziehen. Es interessieren hierbei (noch) keine Details, sondern es geht vorerst um eine grundlegende Orientierung: ist das Buch/der Artikel für meine aktuellen Zwecke überhaupt nützlich?

Wissenschaftliche Arbeiten haben oft präzise und aussagekräftige (Unter-)Titel. Titel, Untertitel und das schnell durchgelesene Vorwort ermöglichen es Ihnen meistens bereits, Gebiet und Ziel des Textes sowie die besondere Blickrichtung der Autorin zu erfassen.

Obwohl der Klappentext (aus Werbegründen) mit Vorsicht zu genießen ist, wird er doch meist von der Autorin selbst (mit Hilfe der Public Relations Abteilung des Verlags) erstellt. Vom Klappentext sollte sich die Absicht, die die Autorin mit diesem Buch verfolgt, ablesen lassen.

Ein intensives Studium des Inhaltsverzeichnisses verschafft Ihnen einen Überblick über Struktur und Gliederung des Textes. Vor allem die Überschriften auf unteren Ebenen sind inhaltlich oft recht aussagekräftig. An Hand des Umfangs der Untergliederungen und der Seitenzahlen, die den einzelnen Kapiteln gewidmet sind, erkennen Sie bereits die relative Wichtigkeit einzelner Themen.

Ähnliches gilt vom Sachregister: Hier sehen Sie nicht nur, welche Begriffe vorkommen, sondern entnehmen (durch die Anzahl der Seiteneinträge, der jeweiligen Gliederung in Unterbegriffe) auch ihre relative Bedeutung für den gesamten Text.

Ein Überfliegen des Literaturverzeichnisses hilft Ihnen vor allem dann, wenn Sie sich zum Thema schon ein wenig eingelesen haben: Kommen die Ihnen wichtigen Arbeiten vor? Auf welche anderen Werke bezieht sich die Autorin?

Besonders wichtig sind Zusammenfassungen. Sie sind oft typografisch oder durch eigene Überschriften hervorgehoben und damit leicht zu finden. Falls nicht, so müssen Sie auf den letzten paar Seiten des Buchs (Kapitels) nach abschließenden Bemerkungen, Resumés, Schlussfolgerungen etc. suchen.

Über Inhaltsverzeichnis oder Index können Sie interessante Passagen heraussuchen und kurz probelesen. “Erfühlen“ Sie den Herzschlag des Buches: Wie ist es geschrieben? Worum geht es der Autorin? Wie packt die Verfasserin die Probleme an?

Alle Materialien, die im Zuge der Literatursuche zusammengetragen wurden, werden dieser raschen Prüfung unterzogen. Ergebnis ist die Antwort auf die entscheidende Frage: Lohnt sich eine weitere (intensivere) Beschäftigung mit dem Text? Um zu beurteilen, ob ein Text für die aktuell verfolgte Fragestellung nutzbringend ist, muss er nicht ausführlich und zeitraubend gelesen werden. Grundfragen sind: Um was geht es? Welche Struktur, Teile hat der Text? Um welchen Texttyp handelt es sich?

Das systematische Durchsehen eines Textes liefert aber weit mehr als bloß eine Antwort auf die Frage zum weiteren Verfahren. Diese Lesestufe setzt den Rahmen für alle weiteren Leseanstrengungen. Aus Inhaltsverzeichnis, Sachregister und den kurzen Leseproben lassen sich oft bereits viele inhaltliche Grundgedanken erfassen, die das weitere Lesen steuern und erleichtern. Vielleicht braucht nur ein Teil des Buches für meine besondere Themenstellung studiert zu werden? Soll dieser Text sofort oder erst später – nach Studium anderer Bücher – gelesen werden?

Mit „Durchlesen“ ist hier ein wirklich nur oberflächliches, flüchtiges Lesen gemeint. Unverständliche Begriffe werden nicht nachgeschlagen, unverständliche Passagen werden übergangen. Auf Anmerkungen oder Literaturhinweise wird keine Rücksicht genommen. Es genügt bei diesem Lesen, bloß einen Teil zu verstehen. Ziel ist es, einen ersten Gesamteindruck von dem Buch zu bekommen. Gleichzeitig werden jene Teile oder Kapitel lokalisiert, die leichter oder schwieriger zu lesen, die für das eigene Thema wichtig oder weniger wichtig sind, usw.

Bei vielen Büchern genügt dieses einmalige „Non-Stop“–Durchlesen. Das ist der Fall, wenn der Text redundant ist oder doch weit weniger die aktuelle Fragestellung als angenommen trifft. Schnelles Durchlesen des kompletten Textes verhindert auch, dass ein falsches Bild durch besonders ausgewählte Passagen entstehen kann: Das flüchtige Durchlesen liefert den breiteren Zusammenhang und ermöglicht Überblick, Ein- und Zuordnung der Position der Autorin und hilft bei der Erstellung des genauen Leseplans (Reihenfolge, Prioritäten).

Für diese Art des Lesens sind schnelle Lesetechniken sehr vorteilhaft. Verschiedene Methoden und Trainingskurse setzen hier an und helfen die Lesegeschwindigkeit zu steigern. Meistens basieren sie auf der Korrektur von Lesefehlern (Lippenbewegungen, Blickregressionen) und Übungen zur Erweiterung der Blickspanne. Alleine eine willentlich größere Lesegeschwindigkeit erhöht die Aufmerksamkeit und Konzentration und damit meist auch die Behaltensleistung. So wichtig diese Techniken auch für diese zweite Lesestufe sind, sie helfen nicht, wenn es darum geht, Argumentstrukturen zu erkennen, zu verstehen und verarbeiten zu wollen.

5.1.3 Analytisches Lesen

Mit der dritten Lesestufe beginnt nun die eigentlich “hohe“ Schule des Lesens. Analytisches Lesen hat das Ziel, ein Werk zu verstehen, sich damit auseinanderzusetzen, es kompetent bewerten zu können. Auch hier lassen sich wieder verschiedene Phasen unterscheiden: Struktur-, Interpretations- und Kritikphase. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, mit bestimmten Fragen an das Buch heranzugehen und beim Lesen die Antworten darauf zu suchen.

Tab. 5.1: Analytisch lesen (Übersicht)
  1. Fragen zur Struktur
  • Um welche Art von Buch handelt es sich?
  • Was ist das Thema?
  • Wie wird dieses Thema abgehandelt?
  • Welche Fragen wirft die Autorin auf? Welche Probleme sollen gelöst werden?
  1. Fragen zur Interpretation
  • Was wird im Detail genau gesagt?
  • Wie lautet genau die Argumentation?
  • Welche Antworten, Lösungsvorschläge gibt die Autorin?
  • Wie begründet sie diese?
  1. Fragen zur Kritik (I): Argumentation
  • Wo stimme ich mit der Autorin überein?
  • Wo nicht?
  • Warum stimme ich – bzw. stimme ich nicht – mit der Autorin überein?
  • Wie stehe ich zu den Antworten bzw. Lösungen der Autorin?
  1. Fragen zur Kritik (II): Relevanz
  • Was ist die Bedeutung des Buches?
  • Was ist neu, anders, relevant,…?
  • Was folgt daraus?
  • Wie ist das Buch zu bewerten, einzuschätzen (Kritik, Würdigung, Enthaltung)?
Prozess des analytischen Lesens

Abb. 5.3: Prozess des analytischen Lesens

Gegenüber der Vorgangsweise beim prüfenden Lesen gibt es wesentliche Unterschiede: Beim Inspizieren überlappen bzw. vermischen sich teilweise die beiden Phasen (systematisches Durchblättern und schnelles Durchlesen) und die Reihenfolge der verschiedenen Schritte beim Durchblättern ist relativ beliebig. Die drei Etappen wie auch die einzelnen Schritte innerhalb jeder Phase des analytischen Lesens sind jedoch als deutlich getrennte Arbeitsschritte aufzufassen, die weder willkürlich vertauscht noch übersprungen werden können.

Bereits in der Vorbereitungsphase des prüfenden Lesens haben Sie wie ein Detektiv Hinweise über Charakter und Struktur des Buches gesammelt. Nach einem gründlichen Studium sollten Sie nun diese Vermutungen begründet verwerfen oder bestätigen können. Ist es eine eher theoretische, praktische oder empirische Arbeit? In welches Fachgebiet – mit den jeweils spezifischen Methoden – ist das Buch einzuordnen (Geschichte, Psychologie, Soziologie, Pädagogik,…)?

Was ist das zentrale Thema des Buches? Was ist die wesentliche Fragestellung, der entscheidende Punkt? Hier genügt es nicht, bloß eine vage Vorstellung zu haben: Fassen Sie den Hauptpunkt des Buches in einem (kurzen!) Satz schriftlich zusammen. Sollte das nicht ausreichen, so können Sie mit ein bis zwei weiteren Sätzen diesen Kernsatz noch weiter spezifizieren.

Im dritten Schritt versuchen Sie nun, Aufbau und die Gliederung des Buches unter diesem zentralen Gesichtspunkt schriftlich zusammenzufassen. Thema und Gliederung bedingen sich wechselseitig: Erst wenn Sie die Struktur deutlich sehen und mit dem zentralen Gehalt verbinden können, wird Ihre kurze inhaltliche Zusammenfassung mit Bedeutung gefüllt. Umgekehrt zieht Ihre (formale) Struktur aus der thematischen Zusammenfassung ihre Substanz und gewinnt an Sinn.

Das Inhaltsverzeichnis kann Ihnen dabei – muss aber nicht – helfen: Es kommt ganz auf Ihre Sichtweise, die Sie im Kernsatz formuliert haben, an. Es gibt viele verschiedene Zugänge und/oder Perspektiven für ein Buch. Jeder Text bedeutet für einen anderen Leser (je nach Interesse, bisheriger Lebens- und/oder Lese-Erfahrung) etwas anderes. Auch wenn es keine „richtige“ Lösung gibt, so sind Sie in Ihrer Zusammenfassung selbstverständlich nicht völlig frei, sondern müssen Ihre Auffassung mit dem Text selbst begründen.

Wenn Sie Ihre strukturelle Analyse gleich am Computer festhalten, können Sie bereits eine Reihe guter Softwarehilfen verwenden. Der Vorteil dieser Werkzeuge (“Outliner“; es handelt sich dabei entweder um eigenständige Anwendungsprogramme oder um Funktionen von Textverarbeitungsprogrammen) liegt nicht nur in der Gliederungshilfe sondern auch darin, dass Sie verschiedene Sichtweisen (“Multiple Representations“) auf Ihren Text haben. So können Sie Ihre Gliederung nicht nur in verschiedenen Detaillierungsgraden betrachten, sondern bei einigen Programmen auch grafisch darstellen. Die Software unterstützt so nicht nur Ihre Aufgabe, sondern wird selbst zu einem Werkzeug der Erkenntnis.

Diese ersten drei Untersuchungsschritte (Texttyp, Thema und Aufbau) zusammengenommen, ergeben ein erstes Bild über Einheit, Klarheit und Kohärenz des Buches. Die vierte Frage an den Text ist hingegen eine Vorbereitung für die spätere Gesamtbeurteilung (Kritik, Würdigung) des Werkes. Um welche Fragestellungen geht es im Buch? Welche Probleme möchte die Autorin lösen? Es genügt hier nicht nur, die Fragestellungen, die die Autorin verfolgt, aufzulisten, sondern es sind auch Reihenfolge und Prioritäten wichtig.

Ganz allgemein lassen sich zwei Typen von Problemstellungen unterscheiden:

  • Theoretische Texte: Erkundungen über ein “Objekt“ (darunter können auch geistige “Dinge“, Begriffe etc. fallen).
  • Praktische Texte: Untersuchungen über Sinn, Zweck von Handlungen. (Analysen über Struktur, Eigenschaften oder Merkmale von Handlungen sind jedoch theoretische Texte.) Die Handlung ist selbst Gegenstand, die praktischen Probleme sind vor allem moralische bzw. ethische Fragestellungen. Dies zeigt sich auch darin, dass sie meistens mit “soll“ eingeleitet werden.
Tab. 5.2: Allgemeine Fragen zu theoretischen Texten
  • Wird die Existenz eines Objekts problematisiert?
  • Um welche Art von Objekt handelt es sich?
  • Was verursacht(e) seine Existenz? Warum? Unter welchen Voraussetzungen, Bedingungen kann es existieren?
  • Was verursacht(e) seine Existenz? Warum? Unter welchen Voraussetzungen, Bedingungen kann es existieren?
  • Welchem Zweck dient es?
  • Was sind die Konsequenzen seiner Existenz?
  • Was sind seine charakteristischen Eigenschaften, seine wesentlichen Merkmale?
  • Welche Beziehung hat das Objekt zu anderen Objekten seiner bzw. anderer Art?
  • Wie verhält es sich (unter bestimmten Bedingungen)?
Tab. 5.3: Allgemeine Fragen zu praktischen Texten
  • Welche Ziele sollten verfolgt werden?
  • Welche Mittel sollten für einen bestimmten Zweck verfolgt werden?
  • Was muss getan werden, um ein bestimmtes Ziel erreichen zu können?
  • In welcher Reihenfolge muss dazu vorgegangen werden?
  • Unter den aktuellen Bedingungen: Was ist das Beste, das Optimale, das mit dem geringsten Schaden, was gemacht werden kann?
  • Unter welchen (anderen) Bedingungen wäre es besser, schlechter?

Die Interpretation ist sowohl in der analytischen Lesestufe als auch für die Lesefertigkeit insgesamt die große Bewährungsprobe. Hier liegt der eigentliche Kern des Verstehensprozesses. Gleichzeitig ist die durch die Textauslegung gewonnene Einsicht wohl auch jene Fähigkeit innerhalb der komplexen Lesefertigkeit, die am schwierigsten anzueignen ist. Das liegt einerseits am Vorwissen: Gute sprachliche Kenntnisse (Wortschatz, Grammatik, Satzstrukturen) sind eine notwendige Grundvoraussetzung, Vertrautheit mit logischen Figuren im Alltag (“informelle Logik“: Erkennen von Propositionen und Argumenten, Einschätzung der Qualität einer Argumentationsstruktur) sehr hilfreich.

Andererseits aber ist der – im Prozess der Interpretation notwendige – hermeneutische Zirkel (Hermeneutik = Kunst der (Text-)Auslegung) selbst ein Grund für diese Schwierigkeit: im Erkenntnisprozess bzw. beim Verstehen gehen wir immer von einem (geschichtlichen) Vorverständnis aus, von dem her wir die Welt (den Text) auslegen. In der aktiven Auseinandersetzung wird dieses Vorurteil abgewandelt, modifiziert und erweitert. Dieses neue Verständnis wird bei einer neuerlichen Deutung zum neuen Vorverständnis (Vorurteil) der Interpretation. Unser Verstehensprozess ist daher zirkulär aufgebaut.

Diese lange geisteswissenschaftliche Tradition der Textauslegung können wir hier natürlich nicht referieren. Wir werden – trotz dieser traditionsschweren und komplexen Hintergründe – versuchen, relativ unbekümmert einige Hilfestellungen für die tägliche Lesepraxis so darzulegen, dass sie zwar ihre theoretische Herkunft nicht ganz leugnen, aber dennoch verständlich und vor allem praxisrelevant sind.

Eine der wichtigsten Regeln bei der Textauslegung lautet: Verständigen Sie sich mit der Autorin über die Verwendung der zentralen Fachbegriffe! Es geht darum, dass Sie den grundlegenden Ausdrücken im Text jene Bedeutung zuschreiben, wie sie die Autorin selbst versteht, bzw. intendiert hat. Das ist ganz und gar keine leichte Aufgabe:

Einerseits können dieselben Worte unterschiedliche Bedeutungen haben. Gemeint ist hier nicht bloß der triviale Fall eines gänzlich unterschiedlichen Sinnzusammenhangs (wie z. B. bei “ein Buch lesen“ und “Wein lesen“), sondern die Schwierigkeit besteht vor allem in der Nuancierung des begrifflichen Inhalts und Bedeutungsumfanges (wie z. B. “lesen“ als Informationsaufnahme und als Gewinnung von Einsichten).

Andererseits drücken verschiedene Wörter oft gleiche Bedeutungen aus (Synonyme). Wiederum ist die Sache nicht so einfach wie es scheint: Lediglich in wenigen Fällen gibt es eine völlige Übereinstimmung (totale Synonymie wie z. B. bei “Fleischer“ und “Metzger“); meistens haben wir es nur mit einer Sinnverwandtschaft (partielle Synonymie wie z. B. bei Freude, Frohsinn, Vergnügen,…) zu tun.

Manchmal kann dieser Einigungsprozess auch durch den Autor selbst erschwert werden, z. B. wenn er seine zentralen Begriffe entweder nicht klar abgrenzt und eindeutig verwendet. Das ist dann aber gleich selbst ein wichtiger Hinweis auf die später zu führende Kritik.

Wie können Sie das Ziel einer Verständigung mit der Begriffswelt der Autorin erreichen? In den meisten Fällen können Sie nicht die Autorin selbst fragen, sondern müssen die Interpretation aus dem Text selbst erschließen. Es wirkt hier wieder der bereits erwähnte hermeneutische Zirkel: Die umliegenden Wörter und Sätze bilden den Kontext für den zu interpretierenden Begriff. Sie erschließen seine Bedeutung aus diesem Kontext, indem Sie Ihr (Vor-)Verständnis jener Wörter und Ausdrücke anwenden, die Sie bereits kennen, bzw. zu kennen glauben. Es ist wie ein Puzzlespiel nach der Methode von Versuch und Irrtum: Sie wenden Ihr Vorverständnis an und gewinnen neue Einsichten, die Sie wiederum anwenden. Je weiter Sie voranschreiten, desto klarer wird das Bild werden. Manchmal müssen Sie vielleicht wieder zurück und Änderungen vornehmen, an die Sie jedoch bereits mit einem anderen Verständnis herangehen können als zu Beginn der Auslegung.

Obwohl es keine zwingenden Algorithmen für die Vorgangsweise gibt, lassen sich doch einige heuristische Hilfen (Daumenregeln) anführen: Ihre erste Aufgabe im Prozess der Interpretation muss es sein, die entscheidenden Fachbegriffe ausfindig zu machen:

Tab. 5.4: Hilfen zum Auffinden der Schlüsselbegriffe
  • Gibt es Begriffe, die Ihnen (auch nachdem Sie ein Lexikon konsultiert haben) noch Verständigungsprobleme machen?
  • Gibt es Begriffe, die die Autorin besonders hervorhebt (kursiv, Anführungszeichen)?
  • Gibt es Begriffe, die die Autorin (in Auseinandersetzung mit anderen Autoren) ausführlich diskutiert?
  • Gibt es im Index Begriffe, unter denen lange Ketten von Eintragungen und/oder viele Unterbegriffe stehen?
  • Gibt es Begriffe, die in einem zuständigen Fachlexikon ausführlich abgehandelt werden?
  • Welche Begriffe werden synonym verwendet, mit welchem Gehalt? (Machen Sie sich zwei Listen: In eine schreiben Sie die von der Autorin verwendeten Wörter, in die andere, die dazugehörige Bedeutung. Danach vergleichen Sie.)

Ein ähnliches Problem taucht beim nächsten Schritt der Entwicklung der Interpretation auf: Es geht nun darum, sich mit der Autorin über die von ihr geäußerten Gedanken und Aussagen ins Einvernehmen zu setzen. Wiederum muss zwischen der sprachlichen und der logischen Ebene unterschieden werden. Wiederum besteht zwischen den (formalen) sprachlichen Elementen (Sätze und Absätze) und den (logischen) inhaltlichen Bestandteilen (Propositionen oder Aussagen und Argumente) keine 1:1-Relation.

Im Satz “Es ist allgemein bekannt, dass die Erde rund ist“, lautet die darin enthaltene Proposition “Die Erde ist rund“. Im Satz: “Die Erde ist rund und überbevölkert“ finden wir hingegen sogar zwei Propositionen. Umgekehrt können sich (logische) Aussagen auch über mehrere (Ab-)Sätze verteilen. Propositionen sind die Grundeinheiten für Gedanken und Wissensstrukturen. Sie sind Deklarationen des Wissens (der Meinung, der Vermutung, der Befürchtung,…) Propositionen stellen die Antwort zu (nicht immer explizierten) Fragestellungen dar: “Welche Merkmale hat die Erde?“

Wir haben es auf dieser zweiten Etappe des analytischen Leseprozesses mit einer gegenläufigen Bewegung zur ersten Phase zu tun. Beide Teilstücke treffen hier zusammen:

  • Struktur: Vom Buch als Ganzes über die einzelnen Abschnitte und Kapitel zu den Argumentationen und Aussagen.
  • Interpretation: Von den einzelnen Fachbegriffen über die zentralen Sätze zu den Aussagen und Argumentationen.

Wiederum geht es zuerst darum, die zentralen Gedanken des Textes ausfindig zu machen. Eine wichtige heuristische Hilfe dabei ist die Suche nach Schlüsselsätzen. Oft verbirgt sich in einem zentralen sprachlichen Element auch ein wichtiger Gedanke. Oder anders herum: Der betreffende Satz ist deshalb so wichtig, weil er einen grundlegenden Gedanken formuliert. Vermeiden Sie dabei die Ablenkung durch “interessante“ Sätze. Es geht hier (noch) nicht darum, was Sie interessiert, sondern ob der Gedanke für das Grundthema des Textes von besonderer Bedeutung ist. Viel wichtiger als wissenswerte und aufschlussreiche Sätze sind ungewöhnliche, erstaunliche, überraschende oder gar befremdliche Aussagen. (“Staunen ist der Beginn aller Weisheit“).

Tab. 5.5: Hilfen zum Auffinden der Schlüsselsätze
  • Gibt es Sätze, die gerade wegen eines – von Ihnen bereits aufgefundenen – Schlüsselwortes eine zentrale Stellung im Text einnehmen?
  • Gibt es Sätze, die Ihnen (auch nachdem Sie ein Lexikon für einzelne Begriffe konsultiert haben) noch immer Verständnisprobleme machen?
  • Gibt es Sätze, die die Autorin besonders hervorhebt (kursiv, unterstrichen)?
  • Gibt es Sätze, über die Sie sich wundern?
  • Gibt es Sätze, die direkt das Hauptthema betreffen, es entweder spezifizieren (Prämisse) oder bewerten (Schlußfolgerung)?
  • Gibt es Sätze, von denen Sie bereits wissen, dass sie von anderen Autorinnen zitiert werden?

Selbst wenn Sie die Schlüsselsätze gefunden und die darin enthaltenen Propositionen lokalisiert haben, bleibt noch die wichtige und alles entscheidende Frage offen. Haben Sie diese Aussagen auch verstanden? Verstehen ist ein aktiver kognitiver Prozess, der von Ihnen selbst geleistet werden muss und zu dem es keine endgültigen und vollständigen Hilfen gibt. Was dieses Buch dazu anbieten kann, sind lediglich zwei Kontrollen, die Ihnen anzeigen, ob Sie einen Sachverhalt verstanden haben oder nicht. Diese Tests sind gleichzeitig auch zwei wertvolle Übungen, die Ihnen auch helfen, den Text zu erarbeiten (zu verstehen):

Versuchen Sie den Sachverhalt mit eigenen Worten zu rekapitulieren. Wenn Sie sich stark an den Originalwortlaut anlehnen müssen, so ist dies ein Indiz dafür, dass Sie den Text nicht vollständig verstanden haben. Sie können dann wahrscheinlich noch nicht zwischen spezifischen sprachlichen Formulierungen und dem eigentlichen Sachverhalt unterscheiden.

Versuchen Sie den Sachverhalt mit eigenen Beispielen zu belegen oder zu erweitern. Propositionen sind nicht formallogische Gebilde, sondern Deklarationen über die Welt. Sie sollten daher in der Lage sein, diese Aussagen umzusetzen, bzw. anzuwenden. Ihre Beispiele müssen nicht unbedingt nur aus eigener Erfahrung oder der Ihnen bekannten Lebenspraxis anderer Leute stammen, sondern Sie können sie auch konstruieren oder erfinden.

Der nächste, vielleicht wichtigste, Schritt besteht darin, die von der Autorin geäußerten Argumente herauszufinden. Dazu müssen Sie sowohl die argumentativen Passagen herausfinden als auch jenen Stellen, die zwar Gründe anführen, aber keine Argumentationen enthalten. Dazu wiederum ist es notwendig genau zu wissen, was ein Argument ist und wodurch es sich von anderen Textabschnitten (Erklärung, Beschreibung,…) unterscheidet.

Das Auffinden von Prämissen und Schlussfolgerungen (die beiden wesentlichen Bestandteile von Argumenten) ist eine komplexe Fähigkeit, aber Voraussetzung dafür, dass Sie bei der nachfolgenden Kritikphase des analytischen Lesens auch selbst beurteilen können, ob es sich um gute oder schlechte Argumentationen handelt.

Nach der intensiven Vorarbeit sollte es Ihnen nun nicht mehr schwerfallen, die Lösungsvorschläge der Autorin aufzulisten. Für welche Probleme, die die Autorin angetreten ist zu klären, kann sie tatsächlich eine Lösung anbieten? Und worin besteht sie? Für welche eingangs erwähnten Fragestellungen hingegen wurden keine (befriedigende) Antworten gegeben? Weiß der Autor, bei welchen Schwierigkeiten er gescheitert ist und warum?

Bis hierher sind Sie den Spuren der Autorin gefolgt. Nach der schwierigen Vorarbeit der Interpretation müssen Sie nun auf eigenen Wegen wandeln und Ihre eigene Meinung entwickeln, äußern und begründen. Aktives Lesen heißt nicht nur einen Text zu verstehen, sondern ihn auch kritisch zu würdigen und zu beurteilen.

Gleich von vornherein wollen wir ein häufiges Missverständnis vermeiden: Kritik heißt nicht bloß, Gegenargumente einzuwenden, und schon gar nicht, einen Text schlecht zu machen oder abzuwerten. Kritik in unserem Kontext bedeutet Stellung beziehen, eine Wertung, Einschätzung, Beurteilung vornehmen. Das Ergebnis kann sowohl positiv als auch negativ ausfallen, immer aber beruht es auf Begründungen. Kritisieren ist selbst eine komplizierte Fähigkeit und beruht auf so unterschiedlichen Tätigkeiten wie: abschätzen, bedenken, erwägen, gegenüberstellen, überlegen, prüfen,…

Ein Buch aktiv zu lesen, heißt eine Art von Kommunikation (mit der Autorin) zu führen. Dieser Diskurs muss jedoch besonders behutsam geführt werden, weil die Autorin nicht präsent ist und daher weder Missverständnisse aufklären noch Gegenargumente replizieren kann. Als aktive Leserin haben Sie (in Ihren Notizen) immer das letzte Wort.

Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass Sie ein bestimmtes Mindestmaß an intellektuellen Umgangsformen beachten. Diese Anstandsregeln sind nicht nur Gebote der sozialen Höflichkeit, sondern helfen auch, eine Kommunikation effizient zu führen. Vor allem aber sind es weitere Hilfen zur Verständigung mit der Autorin, die Sie vor Fehlurteilen bewahren sollen.

Tab. 5.6: Regeln der intellektuellen Etikette
  • Beginnen Sie erst mit der Kritik, wenn Sie die anderen Phasen des analytischen Lesens (Erfassung der Struktur und Interpretation) abgeschlossen haben
  • Beginnen Sie erst mit der Kritik, wenn Sie sicher sind, dass Sie den Text verstanden haben.
  • Vermeiden Sie Angriffe auf die Person, konzentrieren Sie sich auf die inhaltliche Ebene.
  • Respektieren Sie die Meinungen der Autorin und unterscheiden Sie zwischen persönlichen Auffassungen (Weltbildern) und rationalen Argumentationen.
  • Gehen Sie nicht mit einer abwertenden Haltung an den Text heran, sondern versuchen Sie, die Sachlage mit einer neutralen, bzw. sogar mit einer leicht positiven (sympathisierenden, wohlwollenden) Grundhaltung aus der Sicht der Autorin zu betrachten.
  • Halten Sie dem Autor bei einer negativen Bewertung “mildernde Umstände“ zugute: Stand der damaligen Erkenntnisse, limitierte Möglichkeiten und Ressourcen (Zeit, Geld,…), mangelnde wissenschaftliche Erfahrung,…
  • Machen Sie Ihre eigenen Annahmen (Prämissen) explizit. (Eine gute Kontroverse ist ein Disput über unterschiedliche Schlussfolgerungen und nicht über unterschiedliche Voraussetzungen.)
  • Begnügen Sie sich nicht mit einer Ablehnung von Prämissen, sondern verfolgen Sie die Gedankengänge (Schlussfolgerungen) der Autorin und prüfen Sie deren interne Konsistenz, Klarheit und Stichhaltigkeit (bei gegebenen Prämissen).
  • Lernen Sie Ihre eigenen (positive wie negative) Emotionen kennen, die Sie bei einer bestimmten Auseinandersetzung (Disput) entwickeln. Akzeptieren Sie Ihre Gefühle aber halten Sie sie von Ihrer eigenen Argumentation getrennt.

Es gibt sieben grundsätzliche Wege der Kritik. Allgemein gilt dabei: Jegliche Art von Kritik muss auf dem Verständnis des Textes beruhen und daher auch begründet werden. Das trifft ganz besonders auf die Spezialfälle (Zustimmung, Enthaltung, Unverstehen) zu: “Zuzustimmen ohne zu verstehen, ist geistlos. Aber nicht zuzustimmen ohne zu verstehen, ist unverschämt.“ (Adler and Van Doren 1972, p 143)

5.1.4 Vergleichendes Lesen

Bei dieser Lesestufe geht es nun nicht mehr darum, ein einzelnes Buch zu erarbeiten, sondern um die Konstruktion eigener Argumente und Aussagen im Diskurs mit mehreren relevanten Werken. Prüfendes Lesen war die Vorbereitung für die analytische Lesestufe. Jetzt – nachdem Sie mehrere Bücher zum selben Thema analytisch erarbeitet haben – wissen Sie, welche Bücher (bzw. welche Passagen) zum selben Thema für Sie relevant sind. Erst mit diesem Vorverständnis macht das vergleichende Lesen Sinn.

Syntopisches Lesen, wie das vergleichende Lesen auch heißt, ist im Wesentlichen ein selektives Lesen. Durch die vorhergehenden Phasen des Lesens unterstützt, sollen im ersten Schritt die relevanten Stellen aufgefunden werden. Dieses selektive Lesen hat nun jedoch einen ganz anderen Charakter als das - ebenfalls selektive - prüfende Lesen. Zu inspizieren, ob ein Buch relevant ist, ist nicht gleichzusetzen mit dem Auffinden relevanter Passagen in einem Buch. Für geübte Leser mögen vielleicht diese verschiedenen Tätigkeiten ineinander übergehen; vor einem kompletten Überspringen der analytischen Lesestufe muss jedoch gewarnt werden.

Vergleichendes Lesen

Abb. 5.4: Vergleichendes Lesen

Warum? Wieder ist der bereits mehrmals erwähnte hermeneutische Zirkel dafür verantwortlich: Wie können Sie wissen, ob beide Bücher relevante Stellen zum selben Thema haben? Dazu müssten Sie bereits das Thema vor dem Lesen identifizieren bzw. spezifizieren können. Das aber ist oft erst nach dem analytischen Lesen, wo Sie sich mit der Autorin über Thematik und Fragestellung ins detaillierte Einvernehmen setzen, möglich.

Während Sie beim analytischen Lesen den Spuren der Autorin folgen, gehen Sie beim syntopischen Lesen von Ihrem eigenen Interesse und Thema aus. Sie suchen eine Textpassage nicht danach aus, ob und wie weit sie Ihnen zum Verständnis des Buches hilft, sondern ob sie Ihnen bei der Bearbeitung Ihrer eigenen Fragestellung helfen kann. Und das kann sich durchaus stark von der Intention der Autorin unterscheiden.

Wie bei der Verständigung über die Fachbegriffe beim analytischen Lesen, müssen Sie sich auch beim vergleichenden Lesen über die Bedeutung der Fachbegriffe verständigen. Da Sie es aber nun mit mehreren Autorinnen gleichzeitig zu tun haben, sind Sie es selbst, die die Grundlage für eine gemeinsame Verständigung schaffen müssen. Statt herauszufinden, welche Bedeutung der Begriff für die Autorin hat, müssen Sie die Autorin von Ihrer eigenen Sprachverwendung ausgehend interpretieren. Syntopisches Lesen ist wesentlich eine Übersetzungsprozedur: Sie (re)konstruieren den Gedankengang der Autorin (der Autorinnen) vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Sinnzusammenhänge.

Weil Sie mit mehreren Autorinnen gleichzeitig in einen Diskurs treten wollen, ist es notwendig, dass Sie eine eigene Sprache (eigene Begrifflichkeiten, eigene Bedeutungszusammenhänge) zur Verständigung entwickeln. Diese übergreifende Sprache muss systematisch entwickelt und begründet werden, damit sie als “neutrale“ Kommunikationsgrundlage akzeptabel ist.

Im nächsten Schritt verwenden Sie nun den entwickelten begrifflichen Apparat, die von Ihnen geschaffene Terminologie, um das Thema, zu dem die verschiedenen Autorinnen diskutieren, neu zu definieren. Das ist notwendig, weil Unterschiede in der Frage- bzw. Problemstellung der verschiedenen Diskurspartner auf unterschiedliche theoretische Gerüste zurückzuführen sind.

Von dieser Grundlage aus können Sie nun mit den Autorinnen in einen wissenschaftlichen Diskurs treten. Sie übernehmen dabei die Rolle einer Moderatorin: Sie geben das Thema vor, sehen zu, dass alle Teilnehmerinnen an dieser virtuellen Diskussion zu Wort kommen, klären Missverständnisse, verweisen auf Gemeinsamkeiten und halten unterschiedliche Positionen fest. Dabei kehren Sie immer wieder zu den Originaltexten zurück und lesen erneut die entsprechenden Passagen.

Wichtig bei diesem virtuellen Disput ist es, dass immer klar ist, um welche Meinung es sich handelt. Im Fortgang dieser Auseinandersetzung ist es oft sinnvoll, die eigene Position immer stärker einzubringen (Rollenwechsel: Von der Moderatorin zur Diskutantin). Daher müssen Sie klarmachen, was Ihre eigenen Worte und was die Beiträge der anderen Teilnehmerinnen sind. Darin liegt der eigentliche Sinn der Regeln für den Umgang mit Quellen beim wissenschaftlichen Schreiben (siehe Kapitel 7: Zitieren).

Literatur

Adler, Mortimer Jerome, and Charles Lincoln Van Doren. 1972. How to Read a Book: The Art of Getting a Liberal Education. Simon & Schuster.