2.1 Material sammeln
Der erste Teil dieses Abschnitts beschreibt auch die Materialsuche, die Sie beim Konzipieren einer Arbeit ausführen, um einen Überblick und eine vorläufige Literaturliste zu erhalten (siehe Kapitel 1: Konzipieren einer Arbeit). Die Phase der Materialsammlung, -sichtung und -auswahl ist im folgenden Diagramm dargestellt.
2.1.1 Überblick
Ausgangspunkt ist die Idee oder das Rohkonzept, das aus der Erschließung des Themas hervorgegangen ist.
Es folgt die dort beschriebene vorläufige Materialsuche. Die Suchstrategien, Quellen und Techniken, die dafür verwendet werden, sind im Prinzip dieselben wie die, die Sie für die spätere gründliche Literatursuche brauchen. Nur erhebt diese erste Suche noch nicht den Anspruch auf (relative) Vollständigkeit bzw. Repräsentativität. Sie wollen sich ja zuerst einmal ein Bild vom Stand der Forschung zu Ihrem geplanten Thema machen und den Aufwand für die Bearbeitung einschätzen. Ergebnis dieser ersten Phase ist das Konzept.
Bevor Sie mit der eigentlichen Literatursuche beginnen, ist es vor allem bei größeren wissenschaftlichen Arbeiten von Vorteil, zuerst einen Suchplan zu machen und die geeigneten Suchstrategien zu wählen: sollten Sie zuerst in die Bibliothek gehen, in der Buchhandlung stöbern oder im World Wide Web suchen? Müssen Sie sich mehr auf Bücher oder mehr auf Zeitschriften konzentrieren? usw.
Gehen Sie bei der Suche nach Ihrem Plan vor: Besonders bei der Materialsuche im Internet besteht die akute Gefahr, vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen.
Die erste Literaturliste kann in der Form noch ganz beliebig sein: Zettel, Ausdrucke, Kopien von Literaturverzeichnissen, Lesezeichen im Internet-Browser. Sie braucht nur so viele Angaben zu enthalten, wie nötig sind, um dem Hinweis nachgehen zu können, wenn Sie die Quelle sichten und bewerten wollen.
Im ersten Anlauf sammeln und notieren Sie alles, was Ihnen zum Thema unterkommt. Durch prüfendes Lesen (siehe Kapitel 5: Lesen und notieren) können Sie relativ rasch feststellen, was Sie davon wirklich brauchen können und wofür.
Mit diesem Wissen ist es nun möglich, eine Leseliste zu erstellen. Sie ist die Grundlage für die nächste Phase, in der es darum geht, sich die Literatur zu beschaffen.
2.1.2 Kreatives Recherchieren
Die Literatur für eine Arbeit zusammenzutragen, ist selbst schon ein guter Teil der kreativen Tätigkeit, die für das wissenschaftliche Arbeiten erforderlich ist. Deswegen wird diese Fertigkeit ja im Studium auch schrittweise vermittelt und geübt: Während die Studierenden für ihre ersten schriftlichen Arbeiten noch ein paar Titel vorgegeben bekommen, müssen sie später (z. B. in Seminararbeiten) zu einem vorgegebenen Thema und mit Hilfestellungen bereits selbst zu recherchieren beginnen. Beim selbstgewählten und -definierten Thema einer Abschlussarbeit schließlich wird die eigenständige Planung und Durchführung der Materialsuche auf die Probe gestellt.
Kreativität und Erfindungsreichtum sind hier notwendig, denn die Fragestellung einer wissenschaftlichen Arbeit entsteht ja gerade aus einem noch nicht (ganz) gelösten, vernachlässigten oder strittigen Sachverhalt heraus – von einer Lücke oder einem Mangel, der einem bei der ersten überblicksmäßigen Einarbeitung ins Auge gestochen ist. Die Zielsetzung der Arbeit besteht darin, diese Lücke aufzuzeigen oder (z. B. in einer Dissertation) sogar einen eigenen Lösungsvorschlag dafür zu liefern.
Es liegt also beinahe in der Natur der Sache, dass Ihre Fragestellung von der vorhandenen Literatur gar nicht, nicht ausreichend oder nicht unter Ihrem Blickwinkel behandelt wird. Selbst wenn Sie in Ihrer Arbeit keine neuen Argumente oder Theorien entwickeln wollen (oder müssen), sondern „nur“ einen Überblick über ein Gebiet, eine Schule, eine Diskussion etc. geben, so werden Sie sich dazu nicht nur auf Literatur beschränken, die sich „innerhalb“ dieser Schule, dieses Gebiets bewegt, sondern auch Zusammenfassungen, Klassifikationen, Kritiken von Außenstehenden berücksichtigen – schon um selbst Distanz und Überblick zu gewinnen. Auch für solche Arbeiten gilt es daher, bei der Materialsuche erfinderisch zu sein.
Das Konzept einer umfangreicheren Arbeit ist meist so komplex, dass es nicht genügt, Literatur bloß zu genau einem Thema oder einer Fragestellung zu verwenden. Um Ihren Argumentationsgang zu entwickeln und zu belegen, werden Sie verschiedenste Materialien brauchen, oft sogar aus anderen Disziplinen. Diese Notwendigkeit kann schon dort auftreten, wo Sie ein Anwendungsgebiet, ein Beispiel oder eine Fallstudie darstellen und beschreiben und dafür den sozio-ökonomischen, historischen, geografischen etc. Kontext umreißen wollen. (Beispiel: Zu einem Thema wie „Integration bosnischer Flüchtlingskinder in Pflichtschulen“ wird der Leser dankbar sein, wenn er erfährt, seit wann es dieses Problem gibt, wie viele Kinder davon betroffen sind, usw.). Ein Konzept, anhand dessen man ungefähr sehen kann, aus welchen Richtungen, Disziplinen usw. und zu welchen Fragen man Literatur brauchen wird, erweist sich dabei als wichtiger Leitfaden, an dem man die Materialsuche orientieren kann.
Bevor wir die Strategien der Literatursuche beschreiben, möchten wir anhand einer Tabelle die Arten von Literatur, die Sie brauchen und mit der Sie zu tun haben werden, darstellen.
Sie verwenden… | für… | Beispiele |
---|---|---|
Lexika, Nachschlagewerke | Begriffe, Definitionen, Kurzüberblick über das Thema | Encyclopedia Britannica, Wörterbuch der Psychologie usw. |
Einführung, Lehrbuch, Sachbuch, Kompendium, Reader | Überblick über das Thema, Auffrischen der Kenntnisse, „Einlesen“ | „Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch“ |
Primärliteratur | Gegenstand der Arbeit | Jean Piaget, Gesammelte Werke; Zeitungsartikel; Film; Tonträger usw. |
Sekundärliteratur (wissenschaftliche Werke über die Primärliteratur) | Analyse, Interpretation, Diskussion der Primärliteratur | G. Steiner, Piaget und die Folgen |
empirisches Werk | Unterstützung oder Kritik von Argumenten, Datenbasis und -interpretation | Videofilme von Kleinkindern; wiss. Arbeit, die diese Videos auswertet |
theoretisches Werk | Rezeption, Kritik, Vergleich, Diskussion, Theoriebildung | Buch, das empirische Ergebnisse diskutiert und verallgemeinert |
Praxisbericht (angewandte Theorie …) | Beispiel, Fallstudie, Beleg, Interpretation | Tagebuch eines Erziehers |