6.5 Rohfassung überarbeiten

Beim Überarbeiten der Rohfassung geht es darum,

  • eine gründliche inhaltliche Prüfung durchzuführen
  • Argumentationsgang und Zusammenhang zu kontrollieren
  • provisorische Formulierungen in endgültige umzuwandeln
  • Zitate und Quellenangaben auf Korrektheit und Vollständigkeit zu prüfen
  • Sprache und Stil zu verbessern und zu vereinheitlichen

Das Überarbeiten der Rohfassung ist genauso wichtig wie das erste Niederschreiben – und kann auch genauso lang (oder sogar länger) dauern. Bei der Zeitplanung muss man berücksichtigen, dass es mit dem einmaligen Schreiben der Arbeit noch nicht getan ist. Der Grund dafür ist, dass beim ersten Schreiben viele Gedankengänge und Argumente erst entwickelt werden und die Arbeit dabei zum ersten Mal komplett „durchdacht“ wird. Der Anspruch, bei diesem ersten Durchdenken auch schon einwandfrei logisch, klar, verständlich und vielleicht auch noch stilistisch gut zu schreiben, wäre einfach zu hoch: Deswegen ist ein zweiter Durchgang notwendig.

6.5.1 Inhalt prüfen und überarbeiten

Idealerweise hat man genug Zeit, um die Rohfassung ein paar Tage liegen zulassen und sich mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen. Das erzeugt die notwendige Distanz, um sie dann besser aus der Sicht einer Leserin beurteilen zu können.

Die Fragen, die man beim Durchlesen an den Text stellt, sind ganz ähnlich wie die des „analytischen Lesers“ (siehe Abschnitt 5.1.3: Analytisches Lesen), mit einem großen Unterschied: Hier handelt es sich nicht um einen fertigen, fremden Text, sondern um den eigenen, vorläufigen, der sich noch in alle Richtungen verändern und verbessern lässt.

Tab. 6.7: Inhaltliche Fragen an die Rohfassung
  • Wird die Fragestellung, das Thema deutlich? Wird der Leserin die Bedeutung der Fragestellung klargemacht?
  • Welche Erwartungen werden im Leser geweckt – und werden sie auch erfüllt?
  • Hat die gesamte Arbeit einen Bezug zum Thema, und wird dieser Bezug überall deutlich hergestellt?
  • Ist der Aufbau des Ganzen, der Kapitel, der Absätze sinnvoll und nachvollziehbar? Bildet die Arbeit ein sinnvolles Ganzes?
  • Sind die einzelnen Argumente inhaltlich und logisch richtig und ausreichend ausgeführt und belegt, sodass sie für die Leser nachvollziehbar und einleuchtend sind?
  • Nach Ende der Überarbeitung: Sind alle Teile (Einleitung, Schluss, Übergänge, provisorisch angedeutete Passagen usw.) fertig ausformuliert und überarbeitet?

Die Arbeit, die notwendig ist, um Schwächen in diesen Aspekten auszubessern, wird sich kaum auf kleine Korrekturen und Umformulierungen beschränken können. Manchmal ist es notwendig, ganze Teile neu zu schreiben. Davor darf man keine allzu große Scheu haben: manchmal ist es sogar einfacher, Passagen wegzuwerfen und sie unbelastet vom bereits einmal Geschriebenen neu zu formulieren, statt zu versuchen, schwache Abschnitte durch kosmetische Operationen an einzelnen Wendungen und Sätzen zu retten. Selbst wenn die Zeit für die Überarbeitung nicht durch die äußeren Umstände begrenzt ist, muss man sich ein festes Ziel setzen, um zu einem Ende zu kommen. Sicher könnte man den Text immer wieder überarbeiten und weiter verbessern, aber das ist nicht der Sinn der Sache. Viele Schreibende sind ihren eigenen Texten gegenüber zu kritisch und finden sie nie wirklich gut. Da hilft es, sich einen typischen Leser(kreis) vorzustellen, sich den Zweck der Arbeit in Erinnerung zu rufen und nicht ganz allgemein zu fragen, ob die Arbeit „gut“ ist, sondern ob sie genau für diese Leser und diesen Zweck „gut genug“ ist.

6.5.2 Stil und Sprache

Obwohl man schon beim Überarbeiten der Inhalte durch das Bemühen um Klarheit und Verständlichkeit viele Verbesserungen an Ausdruck und Sprache vorgenommen hat, ist auch noch ein eigener Durchgang von Vorteil, bei dem man nur mehr auf den Stil und die Sprache der Arbeit achtet. Damit ist aber noch nicht das Korrekturlesen gemeint, bei dem nur noch Fehler ausgebessert werden. Hier geht es vorerst noch um grundlegendere Fragen wie

  • Wie spricht man in einer wissenschaftlichen Arbeit von sich selbst?
  • Wie redet man Leser an?
  • Wie hält man es mit den geschlechtsneutralen Formen?
  • Wie lang sollen Sätze sein?
  • Wie variiert man im Ausdruck?

Wir können hier nur ganz wenige der häufigsten Probleme und notwendigen Entscheidungen aufzeigen.

Tab. 6.8: Stil in wissenschaftlichen Arbeiten
Sie wollen … Sie verwenden … Sie vermeiden …
von sich selbst schreiben „ich“, wenn es sich um Ihre eigene Arbeit, Untersuchung usw. handelt; unpersönliche Formulierungen, um die (relative) Allgemeingültigkeit Ihrer Aussagen zu unterstreichen das veraltete „wir“ (außer natürlich bei einer Arbeit mit mehreren Autoren); Passivformen ohne Akteur („es wird gezeigt“, „ … werden dargestellt“ usw.)
geschlechtsneutral schreiben Das sog. Binnen-I (StudentInnen), männliche und weibliche Form (Studenten und Studentinnen), Schrägstriche (Student/ inn/en), geschlechtsneutrale Formen (Studierende) oder – radikal – nur die weibliche Form (Studentinnen) unbegründete Vermischung verschiedener Strategien; ausschließlich männliche Formen ohne jede Begründung; langatmige und die Lesbarkeit erschwerende Formen
Leser und Leserinnen ansprechen „der Leser“ und „die Leserin“ bzw. geschlechtsneutrale Formen „Sie“ oder „du“, außer in handlungsanleitenden Texten
sich klar und kurz ausdrücken aussagekräftige Verben, aktive Konstruktionen, Subjekte mit Inhalt passive und unpersönliche Kosntruktionen wie „es wird zu zeigen sein, dass”, Hauptwortstil wie „die Annahme einer Zunahme der Beteiligung …“
kurze, prägnante Sätze schreiben mehrere kürzere Sätze überlange, komplizierte und verschachtelte Satzkonstruktionen
im Ausdruck variieren, z. B. bei der Einleitung von Zitaten Synonyme, Einbettung von Zitaten, Paraphrasen andauernde Wiederholung z. B. von sagen, schreiben, …

Früher war es verpönt, dass sich die Autorin einer wissenschaftlichen Arbeit mit „ich“ bezeichnet. Das ist heute in den meisten Disziplinen nicht mehr so streng. Es wirkt natürlicher, wenn in jenen Fällen, wo eine einzelne Autorin von eigenen Beobachtungen, Tätigkeiten usw. schreibt, auch wirklich „ich“ verwendet wird statt des veralteten, gespreizten „wir“. Trotzdem wird das „ich“ eher sparsam gebraucht. Einen Ausweg bieten Formulierungen ohne persönliche Stellungnahme, also z. B. „Diese Aussage ist wichtig, weil …“ statt „Ich halte diese Aussage für wichtig, weil …“

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, geschlechtsspezifische Sprache zu vermeiden. Leider wirken die meisten Lösungen im Deutschen ein wenig gekünstelt oder sogar schwerfällig. Der Konfliktstoff liegt darin, dass die einen sich auf die deutsche Sprache und die Tradition berufen und behaupten, die männliche Form sei die eigentlich geschlechtsneutrale und umfasse auch die jeweiligen Frauen (Studenten = Studenten + Studentinnen). Für die anderen (vor allem Frauen) ist diese „Geschlechtsneutralität“ ein Schwindel, mit dem die Frauen gedankenlos übergangen oder bewusst verschwiegen werden. Sie wollen Frauen auch in der Sprache sichtbar machen.

Es gibt wissenschaftliche Werke, in denen einzelne Sätze eine halbe bis eine ganze Seite lang sind. Glücklicherweise werden sie immer seltener: selbst im Deutschen muss niemand mehr seine Gelehrsamkeit durch die Kompliziertheit seines Satzbaus demonstrieren. Andererseits haben wir durch die Verbindung von Sätzen die Möglichkeit, auch ihre Aussagen in vielfältiger Weise miteinander zu verknüpfen. Einfache aneinandergereihte Hauptsätze können das nicht ersetzen. Komplexe Sätze sind also in wissenschaftlichen Arbeiten notwendig. Aber sie sollten nicht so weit verkompliziert und verschachtelt werden, dass der Leser leicht den Faden verliert und jeden Satz dreimal lesen muss.