3.8 Kontext & Kontrolle

In diesem Abschnitt behandeln wir ein Thema, das uns auch später immer mal wieder begegnen wird – und das uns in anderem Gewand auch schon begegnet ist: Die Reibung, die Kontextelemente erzeugen. Schon Kurt Lewin hat auf die Rolle von beschränkenden Kräften (restricting forces als Gegenstück zu den driving forces) in seinem Modell der Kraftfelder hingewiesen, in dem sich unser Verhalten abspielt. Den Teil der beschränkenden Kräfte, die vor allem etwas mit Vereinfachung, Reduktion der Komplexität zu tun haben, können wir als Reibung – englisch Friction – zusammenfassen.

Küchenchefs nutzen die Kraft von Kontexten, indem sie für stabile Umgebungsbedingungen sorgen: Alles wird so vorbereitet, dass während des Kochprozesses nur minimaler Aufwand betrieben werden muss. Alle Gewürze stehen in ihrem eigenen Gefäß in Greifnähe und in der Reihenfolge, in der sie gebraucht werden, bereit. Dasselbe gilt für alle Geräte und Werkzeuge. Diese Vorbereitung des Küchen-Arbeitsplatzes heißt Mis en place – französisch für „Bereitstellen” oder „Platzieren”. Mis en place reduziert während des Kochens Reibung und damit den Stress durch ungeplante Suchvorgänge.

Bevor Mis en place aber Reibung reduzieren kann, ist erst einmal eine bewusste Vorarbeit nötig. Prozesse müssen analysiert und verstanden und die Platzierung der Dinge entsprechend angepasst werden. Das kostet Aufwand – zeitlich, physisch – ist aber eine Investition, die sich durch Reibungsreduktion auszahlt, wenn es darauf ankommt; also während der stressigen Phase des Kochens unter Zeitdruck.

Reibung durch Kontextelemente finden wir an vielen weiteren Stellen: So reduziert das Einkaufen auf Kredit eine Art Reibung beim Ausgeben von Geld – auch wenn diese Reibung eher ein psychologisches Phänomen ist. In einer Studie mit Studierenden konnte beobachtet werden, dass diese bereit sind 43 % mehr für Kaffee, Bier und andere Getränke auszugeben, wenn Sie mit der Karte anstatt bar bezahlen. Lassen Sie sich von den 30 % auf der Folie nicht irritieren: die WTP von Cash ist damit ausgehend von der Kartenzahlung um 30 % verringert. In die andere Richtung gerechnet entspricht das 43 %.

Reibung kann aber auch mit positiven Folgen erhöht werden: Studierende, die sich zum Arbeiten in die Bibliothek setzen, erhöhen damit gezielt die Reibung von situativen Elementen, um bestimmte Verhaltensweisen unwahrscheinlicher zu machen. Wir beobachten damit eine Commitment-Strategie am Werk.

Wir denken nicht automatisch daran, die Reibung von Kontexten zu reduzieren. Viel eher setzen wir bei den Driving Forces an; wir versuchen zu pushen; und das nicht mal die externen, sondern mehr noch die internen Driving Forces – also uns selbst. Wir sind wieder bei Selbstkontrolle, Motivation, Reflektion etc. Wie wir inzwischen wissen: Erfolgreiche Selbstkontrolle beruht meist auf erfolgreicher situativer Kontrolle! Dazu eine klare Bewertung von Wendy Wood (Wood, 2019, S. 151): “But behavior change through self-control, (…) isn’t as successful as behavior change through altering contexts”.

Erweitern wir einen Punkt der letzten Folie: Menschen, die offenbar gut darin sind, Selbstkontrolle auszuüben, sind vor allem darin gut, sich in Kontexte zu begeben oder diese zu gestalten, so dass sich darin Gewohnheiten entwickeln können.

In einem Videospiel sollten Kinder lernen, wie man selber Sushi macht. Zwei Gruppen wurden unterschieden: Eine Gruppe sollte sich die Vorgänge Schritt für Schritt merken – das sind die Erinnerer. Die andere Gruppe hat das Spiel ohne Instruktion gespielt – das sind die Macher.

Es stellt sich heraus, dass die Erinnerer flexibler waren, wenn es darum ging, auf unvorhergesehene Störungen zu reagieren. Die Macher waren aber deutlich schneller beim Entwickeln ihrer Sushi-Gewohnheiten. Es geht uns hier um den Einfluss von intensiver reflektiver Bearbeitung der Tätigkeit. Diese hat also offenbar Vor- und Nachteile.

Wendy Wood fasst sie so zusammen:

[H]abits are more likely to form when we act repeatedly without planning and deliberating. Then we are able to relinquish control to the context, allowing our actions to be cued automatically. (…) Overthinking is beneficial, of course, if you want to stay flexible and not form a habit.

Wood (2019), S. 157

Wir sehen an diesem Beispiel die reflektive Auseinandersetzung mit unserem situativen Kontext als Reibung. Wenn es nur um die Gewohnheit geht, wird diese schneller aufgebaut, wenn diese Art von Reibung reduziert werden kann.

Der Aspekt der Reibung ist so wichtig, dass Wood ihn unseren drei Dimensionen Kontext, Wiederholung und Belohnung an die Seite stellt:

  1. Reduzierte Reibung
  2. Stabiler Kontext (aber vgl. Katy Milkman: Eine gewisse Variabilität der Kontextelemente macht die Gewohnheit robuster gegenüber Störeinflüsse)
  3. Belohnung
  4. Wiederholung → Automatismus

Literatur

Wood, W. (2019). Good habits, bad habits: The science of making positive changes that stick. Pan Macmillan.