3.5 K-W-B: Wiederholungen

Wir haben als drei zentrale Aspekte von Gewohnheiten Kontext, Wiederholung und Belohnung angesprochen. Unsere Erkenntnisse zu Kontexteinflüssen können wir salopp folgendermaßen zusammenfassen: Context is King!

Wenn es um Dinge geht, die wir gewohnheitsmäßig tun, spielt natürlich auch der Aspekt Wiederholung eine ganz entscheidende Rolle. Und diese Rolle ist keine ausschließlich selbstverständliche: Natürlich führen wir Gewohnheiten häufiger aus als die meisten anderen Aktivitäten. Aber in den Gewohnheiten steckt mehr als nur eine scheinbare Identität von Gewohnheiten und Wiederholung. Nicht alles, was wir häufig tun ist eine Gewohnheit nach unserem Verständnis.

Wie haben auf den beiden letzten Folien schon festgestellt, dass es keine fixierte Anzahl an Wiederholungen gibt, die dazu führt, dass wir eine Handlung gewohnheitsmäßig ausführen. Wir können dazu tendenziell feststellen: Je komplexer eine Aktivität ist, desto größer ist die Zahl der Wiederholungen, die zur Habit-Bildung erforderlich ist. Die Studien zum Aufbau von Gesundheitsgewohnheiten, die wir zitiert haben, liegen in einem Bereich von etwa 40 bis 100 Wiederholungen – die sich meist in einem täglichen Rahmen abspielen.

Wir haben aber auch hier festgestellt: Kontext kann unterstützen. Die Uber-Fahrer entwickeln die für sie – und vor allem ihren Arbeitgeber – ertragreiche Gewohnheit bereits nach etwa 10 Wiederholungen. Wie? Vor allem, indem der Aspekt der Reibung in der Interaktion mit den sie umgebenden Elementen einer Entscheidungsarchitektur reduziert worden ist.

Uber-Ingenieure haben den Prozess des Abholens und Ablieferns von Fahrgästen genau unter die Lupe genommen und die Benutzerschnittstellen entsprechend angepasst, so dass hier ein möglichst reibungsfreier Ablauf zustande kommt. Der Prozess ist so stark gestreamlinet, dass er schon fast zu gut funktioniert und stellenweise zu einer sehr hohen Arbeitsbelastung der Fahrer:innen führt. Wohlgemerkt: Diese Belastung ist nicht unter Zwang entstanden, sondern durch die Gestaltung von Einflüssen der Entscheidungsarchitektur, denen man sich auch entziehen könnte. Wir werden diese Aspekte später im Semester als Nudges kennen lernen.

Der springende Punkt: Uber musste die Prozesse analysieren, um zu sehen und zu verstehen, wo man wie ansetzen kann. Wir können dasselbe tun, wenn es um uns selbst geht. Wir sind die Experten der Prozesse in unserem Leben. Wendy Wood formuliert hier sehr schön: “But really, aren’t you the world’s leading expert on your life? Surely you know how best to cue up and trigger those family dinners and frugal spending. Your magic number is likely to fall with each piece of context that you engineer for yourself.” (Die Hervorhebungen stammen von mir)

Lassen wir die Kontexteinflüsse vorübergehend bei Seite und wenden wir uns den kognitiven Aspekten der Wiederholung zu. Bei den Wiederholungen überrascht uns die folgende Erkenntnis nicht außergewöhnlich: Je häufiger wir Dinge tun, desto leichter fallen sie uns. Das gilt in der kognitiven wie in der physischen Welt. Wir werden geübter in einer motorischen Tätigkeit, unser Muskelapparat passt sich regelmäßiger Beanspruchung an. Aber auch mental führt Wiederholung dazu, dass sich der Aufwand, der für eine Tätigkeit investiert werden muss, verringert. Wenn wir unser Informationsverarbeitungsmodell verwenden – das Ihnen schon an der ein oder anderen Stelle Ihres Studiums begegnet ist; zumindest in meinen Veranstaltungen – können wir festhalten: Zunehmende Wiederholung einer Tätigkeit erhöht die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung; schnellere Aufnahme und Verarbeitung von Information sowie schnellere Ausführung einer darauf aufbauenden Handlung.

Wir können mit einem uns bekannten Begriff zusammenfassen: Die kognitive Leichtigkeit wird erhöht. Die Stolperstellen – physisch wie psychisch – werden weniger. Unsicherheiten verschwinden.

Wenn Sie sich an unsere Ausführungen zur Entscheidungspsychologie im zweiten Semester erinnern: kognitive Leichtigkeit nimmt da eine zentrale Stellung ein. Sie hat viele Ursachen – unter anderem die Wiederholung – aber auch diverse Folgen. Eine dieser Folgen ist die erhöhte Verfügbarkeit von Gedächtnisinhalten.

Wir hatten das folgende Beispiel schon einmal angesprochen: Sie sind es gewohnt, auf dem Weg zur Arbeit bei einer bestimmten Ausfahrt die Autobahn zu verlassen. Auf dem Weg zum Flughafen fahren Sie auf derselben Autobahn und stellen erschrocken fest, dass Sie diese bei der gewohnten – nun aber falschen – Ausfahrt verlassen haben. Alle Hinweisreize – die sog. Cues – haben den Automatismus der Gewohnheit ins Rollen gebracht. Also doch wieder Kontexteinflüsse. Die Cues können aber auch intrinsisch wirken. Auch ein Ereignis, an das Sie denken, kann dazu führen, dass zentrale Konzepte nun verfügbarer werden. Das ist der grundlegende Mechanismus, den wir auch als Priming kennen. Wiederholung erzeugt kognitive Leichtigkeit, die dazu führt, dass Konzepte – vor allem im Zusammenspiel mit auslösenden internen oder externen Cues – kognitiv verfügbarer werden.

Diese höhere Verfügbarkeit wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Handlung und reduziert gleichzeitig die Berücksichtigung von Alternativen. Es wird eine Art “Tunnelblick” erzeugt. Ein ähnliches Phänomen beobachten wir auch bei den Feuerwehrkräften von Gary Klein, wenn Sie sich erinnern: Es werden in zeitkritischen Einsätzen keine alternativen Optionen erwogen, bewertet und entsprechend ausgewählt. Vielmehr legt die Situation eine Handlung nahe, die über vergangene Wiederholungen hochverfügbar ist.

Danner und Kolleg:innen (Danner et al., 2008) haben den Einfluss von Wiederholung im Straßenverkehr untersucht. Personen, die gewohnheitsmäßige viel und nicht so viel mit dem Rad im Verkehr unterwegs sind, wurden gebeten, verschiedene Informationen zu bestimmten Fahrzielen zu untersuchen und dann die Art der Fortbewegung zu wählen. Es stellt sich heraus, dass gewohnheitsmäßige Radler:innen deutlich weniger Informationen zu den Destinationen benötigen, um ihre Entscheidung zu treffen. Anders als die selten Radelnden begutachten sie alternative Fortbewegungsmittel eigentlich nicht wirklich.

Auch hier können wir über Gestaltung eingreifen, um die Wahrnehmung von Optionen zu beeinflussen und damit vielleicht auch uns selbst dazu zu bringen, mit der ersten wahrgenommenen Handlungsmöglichkeit ins Schwarze zu treffen: “You can make your first choice the best one”9.

Vor allem dem populärwissenschaftlichen Autor Malcolm Gladwell haben wir die Prominenz der sog. 10.000-Stunden-Regel zu verdanken (Gladwell, 2008). Demnach dauere es Pi-mal-Daumen etwa 10.000 Stunden, um in einer Disziplin Expertise zu entwickeln. Wiederholung, die zu Exzellenz führt.

Selbst wenn wir diesen Mechanismus um den Aspekt des Deliberate Practice anreichern – also der zielorientierten, bewussten Wiederholung, die auch das Feedback berücksichtigt – ist er etwas zu simpel. Die reine Zahl an Wiederholungen ist nicht entscheidend. Die erhobenen Daten dazu sind sehr, sehr heterogen. Sie erinnern sich an das erste Semester Statistik: Wenn man einen Mittelwert kommuniziert, sollte man immer die Streuung erwähnen. Und diese ist hier gewaltig. Streuung durch unterschiedliche Tätigkeiten und auch durch die Unterschiedlichkeit von Personen. Kurz: Die 10.000-Regel gilt so streng formuliert sicherlich nicht!

Ein anderer Aspekt ist in diesem Zusammenhang interessanter: Durch die Wiederholung und die Entwicklung von Gewohnheiten können kognitive Kapazitäten frei werden, die für die tiefergehende Auseinandersetzung mit der Tätigkeit investiert werden können. Nachdem ich ein Klavierstück problemlos auswendig spielen kann, bin ich in der Lage, mich beispielsweise um den emotionalen Ausdruck zu bemühen.

Das mag funktionieren, ist aber nicht zwangsläufig zu erwarten. Es gilt: Wiederholung ist meist erforderlich, um einen hohen Grad an Expertise in einem Bereich zu erringen. Schachgroßmeister:innen haben Tausende von Stunden Schachspiel hinter sich gebracht. Häufig ist Wiederholung – auch deliberate practice – dazu aber nicht ausreichend. Mathematisch knapp: Wiederholung ist eine notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung für hohe Expertise.

Literatur

Danner, U. N., Aarts, H., & De Vries, N. K. (2008). Habit vs. Intention in the prediction of future behaviour: The role of frequency, context stability and mental accessibility of past behaviour. British Journal of Social Psychology, 47(2), 245–265.
Gladwell, M. (2008). Outliers: The story of success. Little, Brown.
Johnson, E. J. (2021). The elements of choice: Why the way we decide matters. Riverhead Books.

  1. Ein passender und hoffentlich interessanter Querverweis dazu ist das Buch von Eric Johnson, in dem die Reihenfolge von Optionen in einem eigenen eigenes Kapitel behandelt wird (Johnson, 2021).↩︎