3.1 Missverständnisse und Fehleinschätzungen
In der Psychologie reiben wir uns gerne an idealisierten und/oder stark vereinfachten Vorstellungen davon, wie Menschen sich in bestimmten Situationen oder auch ganz allgemein verhalten. Denken Sie nur an die Modellvorstellung eines Homo Oeconomicus aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Demnach hätten wir beispielsweise festgelegte Präferenzen und würden in unseren Entscheidungen unseren individuellen Nutzen maximieren. Kahneman und Tversky haben eine Forschungsrichtung begründet, die sich an den systematischen Fehlern dieser simplifizierten Modelle abarbeitet: Heuristics & Biases.
Ausgangspunkt solcher Vereinfachungen sind häufig völlig nachvollziehbare Überlegungen, die erst durch die systematische Forschung zum Thema geprüft werden.
Dem Gebiet der psychologischen Forschung zu Gewohnheiten erging es ganz genauso. Der Ausgangspunkt war nicht vielversprechend: Warum sollte das Thema überhaupt interessant sein? Bis in die 90er Jahre hinein herrschte die Überzeugung, dass unser Handeln vor allem durch Einstellungen, Absichten, Pläne und Willenskraft geprägt wird. Die Theory of Reasoned Action (Fishbein, 1979) und darauf aufbauend die Theory of Planned Behavior (Ajzen, 1991) von Martin Fishbein und Icek Ajzen – beides hochrenommierte Wissenschaftler – betonen so auch die Rolle bewusster Einstellungen und Absichten.
Manche Menschen schaffen es, eine Handlungsabsicht über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Manche Menschen schaffen das nicht. Woher kommt die Beharrlichkeit der ersten Gruppe? – Die allgemein akzeptierte Antwort auf diese Frage lautete lange Zeit: Sie entsteht durch die richtige Einstellung, durch geplante Handlung und durch Willenskraft. Wobei die verbreitete Überzeugung im nichtwissenschaftlichen Bereich vor allem die Willenskraft betont hat und dies immer noch tut.
Wenn man die amerikanische Bevölkerung nach den größten Hürden für Gewichtsverlust bei Adipositas frägt, sehen drei Viertel die Ursache in einem Mangel an Willenskraft. Vielleicht überraschend: Bei Adipösen ist diese Überzeugung noch ausgeprägter; hier sind es 81 Prozent (NORC, 2016).
Der Ansatzpunkt zur Entwicklung positiver Gewohnheiten liegt scheinbar klar auf der Hand: die richtige Einstellung, ein solider Plan und Durchhaltevermögen. Wie Nike schon lange weiß: Just Do It! Wenn wir wieder mal an einer Diät gescheitert sind und das im Januar abgeschlossene Abo für das Fitnessstudio schon ab März brach liegt, muss es daran liegen.
Aber das ist nur eine begrenzte Sicht auf die Einflüsse auf unser Verhalten. Es gibt einen weiteren Einflussfaktor, der allerdings weniger auffällig ist.