3.4 K-W-B: Kontext

In den folgenden Abschnitten wollen wir uns drei zentralen Aspekten von Gewohnheiten widmen: den Einflüssen von situativem Kontext, Wiederholung und Belohnung.

Starten wir mit dem Kontext. Der Einfluss der Umgebung auf unser Verhalten wird vor allem am Beispiel Rauchen deutlich.

Warum rauchen Menschen wieder, die eigentlich aufgehört haben? Unsere laienhafte Überzeugung dazu mag lauten, dass eben das Verlangen nach Nikotin über die rauchfreie Zeit hinweg zugenommen hat bis es schließlich zum Rückfall kommt. Entsprechende Studien belegen aber, dass die Nikotinsucht bei diesen Rückfällen nicht die entscheidende Rolle spielt (Orbell & Verplanken, 2010).

Eine Befragung von ehemaligen Raucher:innen gibt uns einen Hinweis auf einen weiteren Erklärungsansatz. In den größten Teilen Europas ist Rauchen in öffentlichen Innenräumen verboten. Auch in den britischen Pubs darf man nicht mehr rauchen. Trotzdem berichten viele Raucher, dass sie sich versehentlich im Pub eine Zigarette angezündet haben.

Es war das Zusammenspiel der situativen Faktoren – Ort, Tageszeit, Personen, … – die das typische Verhalten ausgelöst haben. Dieser etablierte Automatismus – diese Gewohnheit –, ins Pub zu kommen und sich eine Zigarette anzuzünden, war die Ursache für das unangebrachte Verhalten. Es war nicht das Verlangen. Orbell & Verplanken (2010) zeigen, dass es keinen Unterschied machte, ob die Person starke oder schwache Raucher:innen waren. Wendy Wood: “The culprit was habit and habit alone” (Wood, 2019, S. 87). Selbst komplett ohne Verlangen kann das entsprechende Verhalten ausgelöst werden, wenn der Kontext passt. Wir sehen hier einen Ansatzpunkt zur Gestaltung von Entscheidungssituationen – hier die, um Verhalten zu verhindern.

Der Begriff “Kontext” ist zugegeben schwer greifbar. Er umfasst eine Vielzahl an Aspekten und kann sich über all unsere Sinne erstrecken. Für unser Verhalten relevante Aspekte können die soziale Situation, die Tageszeit, die unmittelbar vorhergehende Tätigkeit, visuelle Hinweise, bestimmte Geräusche usw. sein. Es ist eine Herausforderung, Entscheidungssituationen zu gestalten, die solche handlungsrelevanten, situativen Elemente berücksichtigen. Allerdings wissen wir über einige allgemeine Aspekte von Kontexten durch entsprechende Forschungsansätze inzwischen ganz gut Bescheid. Wir werden uns mit einigen dieser Erkenntnisse im Folgenden und auch in anderen Abschnitten beschäftigen (vgl. Nudges & Nudging).

Ein wichtiger Aspekt des Kontexts ist es, welche Hürden er einem Verhalten in den Weg stellt; welche Reibung (engl. friction) er erzeugt. Bei der Gestaltung von interaktiven Systemen taucht diese Reibung in der Begriffsbestimmung von Usability auf. Es geht dort um die effiziente Erreichung von Interaktionszielen. Effizienz ist ein Gegenpol von Reibung.

So schafft es beispielsweise Uber, den Trip von A nach B absolut reibungsfrei zu gestalten Ein paar simple Klicks auf dem Smartphone genügen. Die Wartezeit ist üblicherweise gering. Im Vergleich zur Fahrt mit dem Taxi ist der Prozess deutlich reibungsfreier.

Auch die Nähe bzw. Entfernung von Dingen und Orten beeinflusst unser Verhalten stärker als wir vermuten würden:

  • In einem Laborexperiment konnten Privitera & Zuraikat (2014) die Wahl ihrer Proband:innen zwischen Äpfeln und Popcorn dadurch beeinflussen, dass diese in unterschiedlichen Entfernungen (in Greifweite vs. wenige Schritte entfernt) platziert wurden.
  • Die Entfernung der eigenen Wohnung vom Fitnessstudio ist der beste Prädiktor der Häufigkeit von Besuchen. Betrug die Entfernung weniger als 3,7 Meilen, waren es im Schnitt fünf Besuche pro Monat. Betrug die Entfernung mehr als fünf Meilen, war es im Schnitt ein Besuch pro Monat.

Auch der soziale Kontext beeinflusst unser Verhalten. Wir essen mehr in Gesellschaft von Viel-Essern – und umgekehrt. Bei Soldaten in Ausbildung konnte man feststellen, dass weniger sportliche Kadetten die Fitness ihrer Kameraden senkten. Hier greift alles, was Robert Cialdini zum Thema Soziale Bewährtheit in seinem Standardwerk Influence ausführt (Cialdini, 2021).

Weitere Beispiele, in denen Einflüsse der Umwelt zu Gunsten der Person unterschätzt werden:

  • Bei einer zufälligen Aufteilung von VPn in Quizmaster und Antwortgeber wird den Quizmastern ein breiteres Allgemeinwissen attestiert.
  • VPn halten argumentieren zu einem zufällig ausgewählten politischen Thema. Nach dem Vortrag wird diesen eine zur Argumentation passende Einstellung unterstellt (Ross & Nisbett, 2011).

Wir sehen in all diesen Beispielen den fundamentalen Attributionsfehler am Werk. Aber auch die Introspection Illusion führt dazu, dass wir bei Änderungen an der Person ansetzen und Kontexteinflüsse unterschätzen.

Literatur

Cialdini, R. B. (2021). Influence: The psychology of persuasion. HarperCollins.
Orbell, S., & Verplanken, B. (2010). The automatic component of habit in health behavior: Habit as cue-contingent automaticity. Health Psychology, 29(4), 374.
Privitera, G. J., & Zuraikat, F. M. (2014). Proximity of foods in a competitive food environment influences consumption of a low calorie and a high calorie food. Appetite, 76, 175–179.
Ross, L., & Nisbett, R. E. (2011). The person and the situation: Perspectives of social psychology. Pinter & Martin Publishers.
Wood, W. (2019). Good habits, bad habits: The science of making positive changes that stick. Pan Macmillan.