2.4 Konsistenz und Commitment
Auch für unseren zweiten Hebel zur Verhaltensbeeinflussung gibt es eine passendes Sprichwort: Wer A sagt muss auch B sagen. Es geht nun um Konsistenz und Commitment. Was ist darunter zu verstehen? Zuerst zur Konsistenz. Wir streben danach, unser Verhalten als in sich stimmig wahrnehmen zu können und vor allem auch nach außen so darzustellen. Wir möchten nicht heute Hüh und morgen Hott sagen. Das wirkt unzuverlässig und vielleicht auch wenig vertrauenswürdig. Ein konsistentes Verhalten ist gesellschaftlich angesehen. Das Gegenteil nicht. Wer sich inkonsistent verhält wird als sprichwörtlicher Wendehals wahrgenommen.
Auch diese einfache Regel hat sich als Entscheidungsheuristik im Alltag bewährt. Wenn ich mein vergangenes Verhalten als Richtschnur verwenden kann, erleichtere ich mir die Entscheidung, die ansonsten womöglich komplex und aufwändig wäre. Ich tue einfach das, was ich in einer vergleichbaren Situation schon mal getan habe.
Diese Neigung zur Konsistenz kann aber auch wieder ausgenutzt werden. Beispielsweise durch die sog. Fuß-in-der-Tür-Technik. Dabei werden wir zu einer recht allgemeinen Tendenz-Aussage genötigt, auf der dann aufgebaut wird. Konkretes Beispiel: Jemand läutet an Ihrer Haustür und frägt Sie: “Halten Sie die Resozialisierung von entlassenen Strafgefangenen für eine gute Sache”. Wahrscheinlich antworten Sie darauf mit “ja”. Ist sie ja auch! Die nächste Frage baut auf Ihrer Zustimmung auf: “Ich bin ein entlassener Strafgefangener. Wären Sie also bereit, bei mir ein Abo für diese Zeitschrift abzuschließen, um so meinen Resozialisierungsprozess zu unterstützen?” Sie sehen, was passiert ist. Eine negative Antwort Ihrerseits würde scheinbar Ihrer ursprünglichen Aussage widersprechen. Um sich konsistent verhalten zu können, schließen Sie womöglich das Abo ab. Dabei ist es unerheblich, dass das geforderte Verhalten in einer ganz anderen Liga spielt, als Ihre erste bejaende Einschätzung. Letztere ist sehr leichtgewichtig und allgemein. Das spätere Verhalten erfordert erheblichen finanziellen Einsatz. Das ist der Trick an der Sache: eine scheinbar unerhebliche Tendenz wird ausgenutzt und drastisch zu einem großen Beitrag ausgebaut.
Das gewünschte Verhalten wird umso eher gezeigt, wenn die initiale Tendenz oder Aussage öffentlich, freiwillig und aktiv erfolgt. Wenn sie zudem noch anstrengend ist, aber trotzdem gezeigt wird, ist sie besonders vielversprechend. Zum Beispiel ist ein Like auf Facebook nicht besonders anstrengend. Daher können wir nicht davon ausgehen, dass er als besonders gute Grundlage dient, wenn es darum geht, konsistentes Verhalten zu verursachen. Je höher die Anstrengung – je höher also das eigene Commitment ist, ohne dass es belohnt wird, wie wir gleich sehen werden – desto besser der Effekt für das nachfolgend konsistente Verhalten.
Wie häufig bei psychologischen Phänomenen ist auch hier die Attribuierung also die Zuschreibung von Ursachen wichtig. Wenn Sie für eine Handlung oder Aussage belohnt werden, kann daraus nur schwer weiteres konsistentes Verhalten abgeleitet werden. Sie haben hier vermutlich als Grund für Ihre Aussage oder Ihr Verhalten die Belohnung ausgemacht. Ein darauf folgendes Verhalten kann daher problemlos abweichen, wenn nun keine Belohnung erfolgt. Es gibt keine Einstellung oder Überzeugung, gegen die Sie nicht verstoßen wollen.
Wir tun häufig Dinge, weil sie andere auch tun. Das ist die soziale Bewährtheit, zu der wir als eigenständigen Einflusshebel gleich kommen werden. Konsistentes Verhalten ist eine Art individueller Bewährtheit – oder mit einem englischen Begriff bezeichnet: Self-Herding. Wir nehmen unser eigenes Verhalten als Richtschnur. Das ist besonders interessant, wenn Emotionen dieses initiale Verhalten ausgelöst haben, später aber nicht mehr aktiv sind.
Auch hier ein Beispiel: Sie sind bei Ihrer (zukünftigen) Schwiegermutter zum Essen eingeladen. Sollen Sie ihr Blumen mitbringen? Am selben Tag hat Ihr favorisiertes Fußballteam überraschend ein wichtiges Spiel gewonnen. Ihre Stimmung ist daher prächtig. Sie entscheiden sich im positiven Überschwang Ihrer Gefühle dazu, den Blumenstrauß zu kaufen. Aber was machen Sie beim nächsten Besuch bei der Schwiegermutter? Dieses Mal gibt es keinen erfreulichen Fußballsieg. Besorgen Sie trotzdem einen Blumenstrauß? Vermutlich ja. Warum? Weil Sie das letzte Mal einen gekauft haben. Natürlich könnten Sie einen anstrengenden Abwägungsprozess starten und entsprechend handeln. Sehr viel einfacher und weniger anstrengend ist es, das zu tun, was man in der gleichen Situation beim letzten Mal getan hat. Vermutlich wissen Sie auch nicht mehr, dass der letzte Strauß eine emotionale Geburt war. Was zählt – und im Gedächtnis gespeichert wird – ist die Handlung.
Weitere Beispiele, die alle mit entsprechenden Forschungsergebnissen hinterlegt sind:
Amerikanische Forscher führten ein Experiment durch, bei der kalifornische Hausbesitzer gebeten wurden eine riesige Plakatwand mit der Aufschrift »Augen auf im Straßenverkehr! « im Vorgarten aufzustellen. Von der Kontrollgruppe gaben verständlicherweise nur 17% ihre Einwilligung; und das sind meines Erachtens immer noch überraschend viele! Von einer anderen Gruppe waren das aber erstaunliche 76%. Warum das? Diese Gruppe wurde zwei Wochen vor der Frage nach der Plakatwand gebeten, ein 8 mal 8 Zentimeter großes Schild mit der Aufschrift »Fahren Sie vorsichtig!« sichtbar am oder im Haus anzubringen. Die Plakatwand ist als konsistentes Verhalten zu verstehen.
Zweites Beispiel: Jugendliche Plätzchenverkäufer konnten ihre Erfolgsrate bei der Ansprache von Passanten von 18 auf 32 Prozent steigern, indem sie ihre potenziellen Kunden fragten, wie es ihnen denn geht. Die klassische Antwort – gut! – ist ein ausreichendes Commitment. Die nachfolgende Aktion – möchten Sie Plätzchen kaufen? – wird dadurch erleichtert.
Bei einem anderen Versuch wurden Hausbesitzer im Rahmen eines Wettbewerbs aufgerufen, in einem vorgegebenen Zeitraum Energie zu sparen. Die Haushalte, die das besonders erfolgreich tun, würden ausgezeichnet und in der lokalen Presse namentlich erwähnt. Kurz vor Ende des Zeitraums wurden die Auszeichnungen und namentlichen Nennungen zurückgezogen. Die Familien sparten in dem Zeitraum ca. 12 % Energiekosten. Wie entwickelt sich ihr Energieverhalten in einem vergleichbaren darauffolgenden Zeitraum? Fallen die Haushalte in ihr altes Muster zurück, wenn es keine Aussicht auf Belohnung mehr gibt? Vielleicht überraschenderweise nein! Tatsächlich sparen die Haushalte noch mehr Energie: Die Quote steigt weiter von 12 auf 15 %. Auch das eine Folge der Konsistenz.