Kapitel 3 Gewohnheiten
Vorbemerkung: Entscheidungen und Gewohnheiten
Wir alle wissen, was gemeint ist, wenn wir von “Entscheidungen” sprechen. Im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist es trotzdem immer wichtig, genau zu sein und die zentralen Begriffe zu erläutern. Das tun Robyn Dawes und Reid Hastie in ihrem Standardwerk “Rational Choice in an Uncertain World”. Sie definieren Entscheidungen folgendermaßen:
A decision, in scientific terms, is a response in a situation that is composed of three parts: First, there is more than one possible course of action under consideration in the choice set (e.g., taking the right or the left path at a fork in the road). Second, the decision maker can form expectations concerning future events and outcomes following from each course of action, expectations that can be described in terms of degrees of belief or probabilities (e.g., the belief that the right-hand path becomes impassable a mile up the trail and that the left-hand path leads to a scenic lake with a good campsite). Third, the consequences associated with the possible outcomes can be assessed on an evaluative continuum determined by current goals and personal values.
— Hastie & Dawes (2009), S. 24 (die Hervorhebungen sind meine)
Die zentralen Bestandteile einer Entscheidung sind demnach
- alternative Handlungsoptionen,
- Erwartungen hinsichtlich von Wahrscheinlichkeiten und
- Werte von möglichen Ergebnissen (die Entscheidungstheorie hat dafür das Konzept Nutzen).
Dieses Raster ist so breit angelegt, dass wir damit sehr viele tagtägliche Aktionen als Entscheidung bezeichnen können, bei denen uns das vielleicht ungewöhnlich vorkommt. Wir entscheiden uns, die Zähne mit der rechten Hand zu putzen, nach dem Zähneputzen zu duschen und nach der Morgentoilette in der Küche eine Tasse Kaffee aus einer bestimmten Tasse zu trinken.
Für jede einzelne dieser Mini-Szenarien haben wir viele alternative Handlungsoptionen. Wir können die Wahrscheinlichkeiten der relevanten Ereignisse einschätzen und wir können die Ergebnisse bewerten.
Wir entscheiden uns jeweils für eine bestimmte Handlungsalternative. Wir wissen auch, für welche: Wir “entscheiden” uns für die Option, für die wir uns auch gestern entschieden haben; und vorgestern. Aus der Sicht der Entscheidungsforschung wählen wir zwischen alternativen Handlungsoptionen. Aus Sicht einer jüngeren Forschungsrichtung der Psychologie handeln wir entsprechend unserer Gewohnheiten (engl. habits).
Wie wir noch sehen werden, unterstützt die Kognitionspsychologie diese Sicht. Die Tätigkeiten der obigen Beispiele nehmen nur wenige kognitive Ressourcen in Anspruch. Diese Art von “Entscheidung” fällt uns leicht, weil wir sie schon Hunderte von Malen getroffen haben. Meist ist uns der Akt der Entscheidung nicht bewusst. Wir machen das, was wir zu dieser Tageszeit an diesem Ort immer machen. Wir folgen einer Gewohnheit.1
Die folgenden Ausführungen zu Gewohnheiten oder Habits2 orientieren sich inhaltlich und in ihrem Aufbau vor allem auf dem Buch Good Habits, Bad Habits von Wendy Wood (2019). Die unmittelbare Grundlage bildet ein Foliensatz zum Buch. Der Foliensatz entspricht in seinem Aufbau in etwa dem Aufbau des Buches. Wood macht hier einige Abzweigungen und Wiederholungen, die wir in diesem Dokument nicht mitgehen wollen. Die ersten Abschnitte (bis einschließlich Kapitel 6 des Buches) werde ich daher eher gerafft darstellen. Die relevanten Folien werde ich zeigen. Die Reihenfolge entspricht aber nicht der des Foliensatzes. Die anschließenden Inhalte (ab Kapitel 7) sind dann wieder näher am Foliensatz.
Literatur
An der Stelle können wir gut argumentieren, warum wir immer wieder den Begriff Entscheidungsergonomie verwenden. Er umfasst alle Aktionen, die nach dem Verständnis von Hastie & Dawes (2009) Entscheidungen sind – auch Gewohnheiten. Wir werden allerdings nicht nur bei letzteren feststellen, dass unter bestimmten Umständen die einzelnen Aspekte einer Entscheidung nicht sehr ausgeprägt sind bzw. völlig unbewusst ablaufen.↩︎
Im Folgenden werde ich beide Begriffe synonym verwenden.↩︎