Chapter 2 PUA Neukölln I und II

2.1 Übersicht - eine Zwischenbilanz des Apabiz

Jahrelang kämpften Betroffene der Serie neonazistischer Brandanschläge, Bedrohungen und Einschüchterungsversuche in Berlin-Neukölln sowie andere Aktive um die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Abgeordnetenhaus. Seit Juni 2022 tagt nun endlich der „1. Untersuchungsausschuss (‚Neukölln‘)“.1 Er soll vor allem die Erkenntnisse und das Verhalten der Ermittlungsbehörden angesichts der organisierten neonazistischen Angriffsserie, den sogenannten Neukölln-Komplex, untersuchen. Seinem Gegenstand hat sich der Ausschuss seitdem in elf Sitzungen nur sehr gemächlich angenähert. Die Geduld der Betroffenen wurde teilweise stark auf die Probe gestellt.

https://www.nsu-watch.info/2023/02/gemaechliche-untersuchung-eine-zwischenbilanz-des-berliner-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex/

2.2 Sitzungen

2.2.1 Sitzung 1

2.2.2 Sitzung 2

2.2.3 Sitzung 3

Mit den Aussagen dreier Betroffener des Neukölln-Komplexes startete der „1. Untersuchungsausschuss (‚Neukölln‘)“ des Abgeordnetenhauses am Freitag, 2. September, in die Zeug*innenvernehmungen. Der Ausschuss trat bei dieser Sitzung bereits zum dritten Mal zusammen, bei den vorherigen Sitzungen ging es jedoch um Formalia und Beweisbeschlüsse.

https://www.nsu-watch.info/2022/09/meine-hoffnung-in-den-untersuchungsausschuss-ist-dass-hier-dazu-beigetragen-werden-kann-ueberzeugende-antworten-zu-bekommen-3-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum/

2.2.4 Sitzung 4

Mit der Vernehmung zweier Betroffener des Neukölln-Komplexes wurde der „1. Untersuchungsausschuss (‚Neukölln‘)“ des Berliner Abgeordnetenhauses am Freitag, den 16. September 2022, fortgeführt. https://www.nsu-watch.info/2022/09/im-prinzip-haben-die-taeter-bewirkt-dass-ich-noch-aktiver-geworden-bin-4-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-16-september-2022/

2.2.5 Sitzung 5

In der 5. Sitzung des „1. Untersuchungsausschuss (‚Neukölln‘)“ im Berliner Abgeordnetenhaus wurden drei Zeug*innen gehört, die in Südneukölln aktiv gegen Rechts sind und teils selbst rechte Gewalt erlebt haben. https://www.nsu-watch.info/2022/11/ich-habe-angst-um-die-demokratie-das-ist-mein-motiv-mich-zu-engagieren-5-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-30-september-2022/

2.2.6 Sitzung 6

2.2.7 Sitzung 7

In der 7. Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex wurde eine Betroffene aus der Hufeisensiedlung als Zeugin gehört. Sie berichtete von wiederholten Attacken von Neonazis auf ihre Familie und sie selbst und äußerte die Vermutung, dass es sich bei einem Neuköllner Neonazi um einen V-Mann handeln könne. In der Pressekonferenz nach der Sitzung wurde deutlich, dass der Ausschuss noch immer auf Akten der Behörden wartet, die bereits vor Monaten angefordert wurden. https://www.nsu-watch.info/2022/11/ich-habe-in-den-zehn-jahren-den-glauben-an-die-polizei-verloren-7-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-11-november-2022/

2.2.8 Sitzung 8

In der 8. Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (‚Neukölln‘)“ des Berliner Abgeordnetenhauses wurden zwei Sachverständige gehört. Nachdem in den vergangenen Wochen schon die Betroffenen und Aktiven ihre Expertise zum Neukölln-Komplex vorgetragen hatten, stellten mit Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) und Özge Pınar Sarp von ReachOut zwei Expertinnen aus der Beratungspraxis ihre Gutachten vor und beantworteten Fragen. Dabei zeigte sich, wie sehr dieser Untersuchungsausschuss auf Expertise von außen angewiesen ist und wie wenig aktiv er seine Rechte zu gebrauchen weiß.

https://www.nsu-watch.info/2022/12/da-waere-ich-ihnen-ja-dankbar-wenn-sie-das-beantworten-wuerden-8-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-25-november-2022/

2.2.9 Sitzung 9

Als Sachverständige wurde in der 9. Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (‚Neukölln‘)“ im Berliner Abgeordnetenhaus Kati Becker gehört. Becker koordiniert heute die Berliner Register, zuvor hat sie die Registerstelle in Treptow-Köpenick aufgebaut und jahrelang betreut. https://www.nsu-watch.info/2022/12/freundlich-aber-nicht-nuetzlich-9-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-9-dezember-2022/

2.2.10 Sitzung 10

Im Vorfeld der ersten Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (‚Neukölln‘)“ des Berliner Abgeordnetenhauses im neuen Jahr hatten Betroffene und Initiativen, darunter NSU-Watch, einen zweiten Offenen Brief veröffentlicht. Mit Bezug auf die in der 10. Sitzung anstehende Anhörung der Sonderermittler*innen zum Neukölln-Komplex, Herbert Diemer und Uta Leichsenring, formuliert der Offene Brief: „Derzeit werden letztlich nur Tatsachen zusammengetragen, die in der Zivilgesellschaft seit Jahren bekannt sind. Frau Leichsenring und Herr Dr. Diemer werden darüber hinaus lediglich ihren Bericht – der nach seinem Inhalt unvollständig bleiben musste – bestätigen. Worin liegt da ein Erkenntnisgewinn?“

https://www.nsu-watch.info/2023/02/auf-allen-seiten-zunaechst-einmal-korrekt-gehandelt-10-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-6-januar-2023/

2.2.11 Sitzung 11

Die letzte Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (‚Neukölln‘)“ des Berliner Abgeordnetenhauses vor der Wahlwiederholung war, bezogen auf den Neukölln-Komplex, wenig ergiebig. Befragt wurde der Opferbeauftragte von Berlin. https://www.nsu-watch.info/2023/02/ich-kann-mich-zu-dem-komplex-neukoelln-gar-nicht-aeussern-11-sitzung-des-untersuchungsausschusses-zum-neukoelln-komplex-20-januar-2023/

2.2.12 Sitzung 14

Am 23. Juni fand die erste öffentliche Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (Neukölln II)“ des Berliner Abgeordnetenhauses statt. Aufgrund der Wahlwiederholung im Februar 2023 war die Arbeit des Ausschusses unterbrochen worden, nun wird der Ausschuss fortgesetzt. Insgesamt handelt es sich um die 14. Sitzung des Ausschusses. Am 2. Juni gab es bereits eine nicht-öffentliche Sitzung des neu zusammengetretenen Ausschusses. Gehört wurden in der 14. Sitzung der Leiter der Geschäftsstelle der „Kommission Neukölln“ und der Leiter der BAO Fokus bei der Polizei. https://www.nsu-watch.info/2023/08/es-ist-vielleicht-nicht-die-beste-loesung-einen-staatsschuetzer-mit-staatsschuetzern-die-arbeit-des-staatsschutzes-ueberpruefen-zu-lassen-14-sitzung-des-untersuchungsaus/

2.3 Offene Briefe

2.3.1 1. Offener Brief: Die Öffentlichkeit im Neukölln-Untersuchungsausschuss muss hergestellt werden!

Jahrelang hat das Berliner Abgeordnetenhaus die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex verhindert. Seit kurzem kommt nun endlich die parlamentarische Aufklärung voran. Dass es überhaupt zu diesem Untersuchungsausschuss zu rechtem Terror in Neukölln gekommen ist, ist der unermüdlichen, jahrelangen Arbeit der Betroffenen und ihrer Initiativen zu verdanken.

Jetzt steht die solidarische Öffentlichkeit im laufenden Ausschuss leider wieder vor der Tür. Aufgrund der Verordnungen im Abgeordnetenhaus müssen Medienvertreter*innen und Zuschauer*innen in einem anderen Saal als der Ausschuss sitzen und dürfen die Sitzungen nur durch einen Livestream auf drei Leinwänden verfolgen. Die Öffentlichkeit im Untersuchungsausschuss ist damit nicht in unserem Sinne hergestellt.

  1. Die Betroffenen dürfen vor dem Ausschuss nicht alleine gelassen werden!

Nachdem Polizei und Strafverfolgungsbehörden die Betroffenen des rechten Terrors in Neukölln jahrelang allein gelassen hatten, sind diese jetzt gezwungen, sich alleine den Fragen des Ausschusses zu stellen. Das finden wir inakzeptabel. Betroffene Zeuginnen dürfen sich zwar von einem Rechtsbeistand begleiten lassen, aber das halten wir nicht für ausreichend. Schon in der ersten Sitzung mit Zeuginnenaussagen hat sich gezeigt, dass einige Ausschussmitglieder den Betroffenen gegenüber nicht freundlich gesinnt sind und dies auch durch polemische Kommentare und irreführende Fragen deutlich machen.

  1. Die Öffentlichkeit ist nicht hergestellt, wenn der Ausschuss sie nicht wahrnimmt!

Durch die jetzige Regelung können die Zuschauenden und die Medien zwar den Ausschuss verfolgen, aber der Ausschuss hält die Öffentlichkeit fern. Wir erwarten, dass der Ausschuss sich auch mit der kritischen Öffentlichkeit vor Ort auseinandersetzt. Die Betroffenen und die Initiativen haben lange für den Ausschuss gekämpft, um einen öffentlichen Ort der Verhandlung zu haben. Die Öffentlichkeit hat unseres Erachtens das Recht, von dem Ausschuss wahrgenommen zu werden, auch in ihren Reaktionen auf die Arbeit des Ausschusses. Wir, die unterzeichnenden Betroffenen und Initiativen, fordern den Ausschuss und seine Mitglieder daher auf, die räumlichen Bedingungen herzustellen, die auch in anderen Bundesländern in ähnlichen Ausschüssen eingehalten werden können, damit die Öffentlichkeit pandemiekonform in einem Raum mit dem Ausschuss sitzen kann. Größere Räume sind vorhanden, im Zweifel auch der Plenarsaal, welche auch in anderen Bundesländern für Ausschusssitzungen freigehalten werden.

Berlin, 14. September 2022

Detlef Fendt Claudia von Gélieu Christian von Gélieu Ferat Koçak Heinz Jürgen Ostermann Christiane Schott Jürgen Schulte

*aze – *andere zustände ermöglichen. BASTA – wir haben genug. Britzer Bürger*innen fordern Aufklärung rechter Straftaten. Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. (Berliner VVN-BdA e.V.) Bündnis Neukölln – Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt Galerie Olga Benario Hufeisern gegen Rechts. Britz gegen Rechtsextremismus Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş Initiative Kein Generalverdacht Neukölln Watch Psychologische Beratung für Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt (OPRA) ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus Rudow empört sich. Gemeinsam für Respekt und Vielfalt. Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) Verein für Demokratische Kultur in Berlin – Initiative für urbane Demokratieentwicklung (VDK) e.V. NSU-Watch, Lausitzer Str.10, 10997 Berlin (ViSdP)

2.3.2 2. Offener Brief zum „Neukölln“-UA

Nun wurden von Juni bis Dezember 2022 neun Sitzungen im langerwarteten parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Neukölln“ abgehalten. Betroffene wurden als Zeuginnen und Zeugen angehört. Und die Einschätzung von externen Sachverständigen, wie den Opferberatungsstellen hinzugezogen. Die Phase dieser Anhörungen ist mit der 9. Sitzung (am 9.12.2022) abgeschlossen worden. Der Ausschussvorsitzende Florian Dörstelmann (SPD) bilanziert, der Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln sei bis jetzt „erfolgreich“ verlaufen, der Ausschuss habe „einen hervorragenden Überblick darüber bekommen, wie welche Akteure zugange sind, wie die Vernetzung erfolgt und was einzelnen Akteuren mutmaßlich zugeordnet werden kann“ und schlussfolgert: „Das heißt, wir erkennen die Muster der Anschlagsserie immer besser.“ (lt. „Tagesspiegel“).

In der 10. Sitzung am 6. Januar soll es weitergehen mit der Beweiserhebung durch die Zeug:innen Uta Leichsenring und Dr. Herbert Diemer, die vom damaligen Innensenator Geisel als Sonderermittler im „Neukölln-Komplex“ eingesetzt wurden. In einer gemeinsamen Runde mit den zuständigen Senatsverwaltungen soll außerdem besprochen werden, wie künftig Akten für den Ausschuss zur Verfügung gestellt werden können. Denn zuvor hatten die Sprecher:innen der Fraktionen beklagt, dass kaum Unterlagen vorlägen und dem Senat eine „Blockade“ vorgeworfen.

„Auf gutem Kurs“ sind wir erst, wenn wir sehen können, wo es lang geht!

Die Anhörung der Zeuginnen und Zeugen und der externen Expert:innen war sehr aufschlussreich und ein großer Erfolg der Betroffenen von rassistischer und rechter Gewalt sowie der mit ihnen solidarischen Menschen aus Gesellschaft und Politik. In einem Ersten Offenen Brief haben wir unsere Anliegen, Vorstellungen und auch Kritiken dargelegt. Nach der 9. Sitzung kommen wir zu einer etwas anderen Schlussfolgerung:

Der Untersuchungsausschuss legt eine Missachtung der Betroffenen zutage, die inakzeptabel ist. Es gibt in der Sache engagierte Abgeordnete und es gibt Abgeordnete, die öffentlich verkünden, sie hätten den Bericht der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) vor deren Anhörung gar nicht gelesen, wie es der Fall beim maßgeblichen CDU-Vertreter im Ausschuss war.

Wir haben den Eindruck, dass Abgeordnete und Fraktionen immer noch nicht verstanden haben, was der Untersuchungsausschuss leisten soll und muss. Der Ausschuss wird bloß mehr oder weniger durchgezogen. Wir können noch keine Strategie sehen, die etwas verändern möchte und das Potential dazu hat. Derzeit werden letztlich nur Tatsachen zusammengetragen, die in der Zivilgesellschaft seit Jahren bekannt sind. Frau Leichsenring und Herr Dr. Diemer werden darüber hinaus lediglich ihren Bericht – der nach seinem Inhalt unvollständig bleiben musste – bestätigen. Worin liegt da ein Erkenntnisgewinn?

Aktenanforderungen endlich durchsetzen!

Bisher verweigern Innen- und Justizverwaltung die Herausgabe der relevanten Akten aus den Sicherheitsbehörden an den Ausschuss. Die Justizverwaltung verweist dabei auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main, wonach die Herausgabe von Akten an den vom Hessischen Landtag hierzu eingesetzten Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke bis zum Abschluss des Strafverfahrens die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens gefährde. Derartige Scheinprobleme sind im Zusammenhang mit den vom Bundestag und einzelnen Landtagen eingesetzten NSU-Untersuchungsausschüssen nie konstruiert worden! Ergeben sich aus den Behördenakten tatsächlich noch Wunder, die in das jetzt noch beim Amtsgericht laufende Verfahren gegen Sebastian Thom eingeführt werden können? Und was ist mit den eingestellten Ermittlungsverfahren? Der Ausschuss muss hier endlich aktiv werden und notfalls auch rechtliche Schritte ohne Rücksichtnahme auf die parteipolitische Zuordnung der betreffenden Ressorts ergreifen.

Eine echte Öffentlichkeit des Ausschusses herstellen!

Noch immer warten wir darauf, dass im Neukölln-Untersuchungsausschuss wirkliche Öffentlichkeit hergestellt wird. Die Betroffenen wurden vor dem Ausschuss weitgehend allein gelassen und mussten sich allein der teilweise unfreundlichen Atmosphäre, polemischen Kommentaren und irreführenden bis absurden Fragen stellen.

Wir, die unterzeichnenden Betroffenen und Initiativen, fordern den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, den Ausschuss und seine Mitglieder daher nochmals auf, die räumlichen Bedingungen für eine echte Öffentlichkeit herzustellen.

Wir fordern alle Abgeordneten auf ein Konzept zu erstellen und dafür alles Erforderliche einzuholen. Um, wie es in dem Einsetzungsbeschluss heißt, aufzuklären, welche „Akteure“ und welche „Vernetzungen“ in den Blick genommen werden, oder welche „Muster“, die solche Anschlagsserien ermöglichen wie betrachtet werden sollen, braucht es Entschlossenheit und Transparenz.

Der Prozess gegen die Nazi-Bande um Sebastian Thom zeigt das strukturelle Behördenversagen nochmals auf!

Der seit Monaten vor dem Amtsgericht Tiergarten laufende Prozess gegen Mitglieder einer Nazi-Bande, deren prominentester Vertreter Sebastian Thom ist, macht deutlich, dass Justiz und Sicherheitsbehörden immer noch nicht verstanden haben oder wahrnehmen wollen, dass der Neukölln-Komplex ein berlinweites rechtsterroristisches Netzwerk betrifft.

Vernetzungen und gemeinsame Planungen waren nie Gegenstand der Anklage – es wurden lediglich scheinbare Einzeltaten angeklagt. Das Verfahren gegen den Neuköllner Neonazi Oliver Werner wurde aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt, weil der Angeklagte sich krankgemeldet hatte. Ob und wann der Prozess gegen ihn fortgesetzt wird, ist unklar. Das von der Vorsitzenden Richterin deswegen angeforderte Attest ist offenbar nie eingereicht worden. Im Laufe des Prozesses stellte sich außerdem heraus, dass Werner, der als politischer „Ziehvater“ von Thom gilt, mit seinem Zögling gerichtsfest dabei beobachtet worden war, Morddrohungen an der Wohnung eines Antifaschisten anzubringen. Eine weitere Anklage gegen Werner könnte daran scheitern, dass der Staatsschutz ein an sich von Amts wegen anzuzeigendes Delikt aus „ermittlungstaktischen Gründen“ eben nicht angezeigt hat.

Betroffene der Neuköllner Anschläge und zivilgesellschaftliche Gruppen hatten bereits 2018 eine Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt gefordert. Aber das Bestehen eines kriminellen rechten Netzwerks wurde schon damals nicht einmal in Betracht gezogen. Die Anklagen im Prozess gegen die Neuköllner Nazibande machen die Täter zu Einzeltätern, ihre Taten zu Einzeltaten. Die Justiz geht also nicht von der Tatsache aus, dass in Berlin – nicht nur in Neukölln – seit deutlich mehr als zehn Jahren ein militantes Neonazi-Netzwerk aktiv ist. Die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedern der Nazibande ist bei dem Prozess nicht berücksichtigt worden, in der Folge wurde Tilo Paulenz, der Betroffene der Brandanschläge nachweislich ausspioniert hatte, dann auch wegen der Anschläge freigesprochen.

Es sind bereits Burak Bektaş (05.04.2012) und Luke Holland (20.09.2015) ermordet worden. Müssen noch weitere Menschen sterben, ehe gegen die Neonazi-Strukturen in Neukölln und den übrigen Berliner Bezirken ermittelt wird?

Auch hier ist klar:

Wir erwarten vom Untersuchungsausschuss Ergebnisse – bevor es wieder einmal zu spät ist.

Berlin, den 4. Januar 2023

Erstunterzeichner*innen (04.01.2023):

Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş

BASTA

NSU-Watch

Claudia v. Gélieu

Christian v. Gélieu

ReachOut

*aze – *andere zustände ermöglichen.

Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschist*innen

Neukölln-Watch

Galerie Olga Benario

Bündnis Neukölln

Ferat Koçak


  1. This is a footnote.↩︎