Kapitel 2 Empirische Forschungsmethoden

Versuchen Sie sich vorzustellen, was Sie in 5 Jahren beruflich tun werden. Sie haben Ihr Studium der Kommunikationswissenschaft schon eine ganze Weile hinter sich und haben Ihre ersten beruflichen Erfahrungen in ihrem Einstiegsjob gesammelt. Nun, treten Sie einen neuen Job an. Sie arbeiten für einen großen Online-Medien-Konzern und sind der neue Leiter der Abteilung “User Experience” und verantwortlich für den Bereich “Digital opinions and algorithmic fairness”. Ihre Aufgabe ist es sicherzustellen, dass ihr Unternehmen nicht ins Kreuzfeuer der Medien gerät, falls sie unfaire Algorithmen einsetzen.

Zum Hintergrund: Um der Flut an Informationen Herr zu werden, werden auf den Webseiten ihres Unternehmens Inhalte personalisiert. Das bedeutet, dass jeder Nutzer eine andere Perspektive auf Ihre Webseite hat. Hierfür wird ein Filteralgorithmus oder ein Empfehlungssystem (engl. recommender system) eingesetzt. Dieser Algorithmus tritt eine Vorauswahl, welcher Nutzer welche Inhalte zu welchem Zeitpunkt sehen kann.

Die Sorgen, die die Öffentlichkeit diesbezüglich hat, ist dass durch diesen Algorithmus eine Filterblase entstehen kann. Eine Filterblase bedeutet, dass Nutzer nur noch Inhalte sehen, die ihrem Meinungsbild entsprechen. Durch die Interaktion der Nutzer mit Inhalten, die dem Nutzer gefallen, wählt der Algorithmus ähnliche Inhalte aus, die den selben Kriterien genügen wie die Inhalte, die dem Nutzer bereits gefallen. Der Nutzer befindet sich ein einer Blase aus Inhalten, die ihm gefallen, der Filterblase. Die Sorge ist, dass durch Filterblasen indirekt Einfluss auf die Demokratie ausgeübt wird. Divergierende Filterblasen können zur Polarisierung beitragen.

Um Filterblasen zu verhindern, verfügen Empfehlungsalgorithmen über Konfigurationsparameter. Der Entwickler kann einstellen, wie viel ähnliche Inhalte und wie viel völlig neue Inhalte dem Nutzer gezeigt werden (engl. serendipity). Doch wie soll der Algorithmus konfiguriert werden? Soll händisch gesteuert werden oder wählt der Algorithmus aufgrund von Evaluationsmetriken automatisch eine Strategie? Wie wird diese Einstellung in der Bevölkerung wahrgenommen.

Sie, als Leiter der Abteilung “User Experience”, sollen eine Strategie für die Informationsaufbereitung entwickeln und bekommen für Konzeption und Umsetzung ein Budget von 1 Mio. Euro. Für die finale Abnahme sollen Sie ihr Konzept dem Board of Directors präsentieren.

Wie gehen Sie vor?

Begründung der Vorgehensweise - Warum dieser Weg? - Welche Datengrundlage? - Mit welcher Sicherheit?

Rechtfertigung der Ausgaben - Wie viel Wert sind Ihre Daten? - Sind die 1 Mio Euro gut investiert?

Die berufsweltliche Anforderung - Gegenstand (also Kommunikation) ist schnellen Medienwechseln unterworfen - Für viele der neuen Medien gibt es noch keine kommunikative Etikette

Unklar ist … - inwieweit sich der kommunikative Gegenstand mit den jeweiligen Kontexten verändert (Kontextsensitivität). - die Beziehung zwischen Informationsbedarfen/-wünschen/-notwendigkeiten und der adäquaten kommunikativen Strategie („Was“ und „Wie“ und „Wann“). - die Auswirkung der Unterschiedlichkeit von Fähigkeiten und Vorwissen einer zunehmend diversen Kundschaft (User Diversity).

2.1 Was sind Forschungsmethoden?

Methoden sind Prozessbeschreibungen, die wiederholbar und flexibel einsetzbar sind, mit dem Zweck den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zu strukturieren, zu formalisieren und gegen Fehler abzusichern.

2.1.1 Dazu gehören:

  • Empirische Methoden
  • Qualitative Methoden: Interviews, Fokusgruppen, Social Media Analysen, etc.
  • Quantitative Methoden: Fragebogen, Experiment, Web-Mining, etc.

  • Analytische Methoden
  • Qualitative Methoden: Grounded Theory, Inhaltsanalyse, etc.
  • Quantiative Methoden: Deskriptive Datenanalyse, Statistische Hypothesentests,

2.2 Warum Methoden?

2.2.1 Wissenschaftliche Fragen

Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn basiert in den Sozial- und Humanwissenschaften auf der: - systematischen Sammlung, Aufbereitung und Analyse von empirischen Daten - im Rahmen eines geordneten und dokumentierten Forschungsprozesses.

Unter Einsatz von sozialwissenschaftlichen Methoden: - Untersuchungsplanung - Stichprobenziehung - Datenerhebung - Datenaufbereitung und Datenanalyse.

Der empirische Forschungsprozess ist theoriebasiert, d.h. wissenschaftliche Theorien über den Gegenstand und Forschungsmethodik werden angewendet und geprüft oder gebildet und weiterentwickelt.

Erst mit Bezug auf Theorien sind empirische Daten sinnvoll interpretierbar. .footnote[ Definition nach Döring/Bortz.]

2.2.2 Nicht-wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn?

Vorgehensweise? Grenzen?

  • Autorität
  • Religion
  • Tradtion
  • Gesunder Menschenverstand
  • Intuition
  • Anekdotische Evidenz
  • Logik

Sind diese Quellen des Erkenntnisgewinns schlecht?

Angemessenheit des Problems \(\checkmark\)

2.2.3 Biases und Verzerrung

Menschen sind schlechte Beobachter

Menschen wurden durch die Evolution geschaffen als “Survival Machine”. - sämtliche physiologische, affektive, kognitive und soziale Funktionen dienen dem Überleben oder Replizieren

“Objektive” Sinneswahrnehmung ist für das Überleben unbedeutend. Deshalb gibt es z.B.: - schnelle Gesichts- und Emotionserkennung :-) - Agency-Bias*, availability heuristic, confirmation bias,
- Theory of the Mind, - Ultrakurzwellenblindheit, etc.

Ein Sinn für objektive “Wahrheit” fehlt.

.footnote[ *Bias: Systematische kognitive Verzerrung, aufgrund des Einsatzes einer kognitiven Heuristik.
Heuristik: Entscheidungsabkürzung, einfach “auszuwerten”, Fehlerbehaftet.]

2.3 Ziel von Methoden

Forschungsmethoden sollen Verzerrungen minimieren oder kontrollieren.

Objektivierung der Erfahrungswirklichkeit

2.4 Methoden in der Kommunikationswissenschaft

  • Kommunikationswissenschaftliche Kontexte sind naturgemäß komplex1.
  • Sie variieren mit dem jeweiligen Kontext, dem Medieneinsatz, der Art und der Anzahl kommunikationswissenschaftlicher Akteure
  • Um solche komplexen Gegenstände zu beschreiben, analysieren und gegebenenfalls zu veränden, müssen die Einflussgrößen und ihre Verbindungen untereinander identifiziert werden.
  • Das kann mit unterschiedlichen Foki passieren: Nutzergruppen, Anwendungskontexte, Medien etc.
  • Je nach Fokus und Forschungsfrage sind unterschiedlich Methoden angezeigt.

.footnote[ 1 Komplex Probleme: Schwierige Probleme, hohe Anzahl Teilprobleme und hochgradig vernetzt.]

2.5 Methodische Kompetenzen

  • Methoden auswählen
  • Verständnis darüber, welche Methoden und Verfahren was messen
  • Fähigkeit, einen Faktorenraum aufzuspannen, ein Konzept der jeweils agierenden Größen

  • Methoden durchführen
  • Verständnis von Methodenvorraussetzung und deren Einhaltung
  • Verständnis der Ergebnisse und deren Aufbereitung (Visualisierung und Deutung)

  • Methoden bewerten
  • Verständnis darüber, wann welche Methoden zwar möglicherweise genau sind, aber zu komplett verzerrten Ergebnissen führen
  • Verständnis darüber, welche Spezifität/Sensitivität und welche Diagnostizität Methoden haben und welche Ökönomie der Verfahren angezeigt ist

2.6 Prozess: Wissenschaftlichen Erkenntnisprozess

  1. Theorie-geleitetes Vorgehen
  2. Struktur des Prozesses
  3. Sammeln von empirischen Daten
  4. Aufbereiten von empirischen Daten
  5. Analysieren von empirischen Daten
  6. Dokumentation des Prozesses

Gründe: Schwierigkeiten menschlicher Wahrnehmung 1. Kein “Sinn” für objektive Wahrheit 1. Menschliche Sinne dienen dem Überleben

Ziel: Reduktion von Verzerrung, Objektivierung

2.6.1 Exkurs: visuelle Wahrnehmung

Warhnehmung ist “Computation” - Visuelle Informationen sind mehrdeutig - für jedes 2-Dimensionale-Abbild gibt es unendliche viele mögliche Urbilder - Bidirektionaler Prozess - Bottom-Up (Sensorik zum Perzept) - Top-Down (Perzept zur Sensorik)

  • Berechnung und Steuerung von Wahrnehmung test .figurecaption[ Aus (Pinker, 1999) ]

.footnote[Pinker, S. (1999). How the mind works. Annals of the New York Academy of Sciences, 882(1), 119-127.]

Grenzen der visuellen Wahrnehmung

Die Fovea: - kleiner Bereich mit hoher Zapfendichte - Schärfster Bereich des Sehens - 0.5 2° des Sichtfeldes

Nur hier sieht man farbig und scharf

Blinder Fleck am Sehnerv

.figurecaption[ Quelle: Wikipedia ]

2.7 Biases und Verzerrungen

Grenzen gelten für.. - sämtliche Sinne (Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, Propriozeption, etc.) - Aufmerksamkeit (geteilte Aufmerksamkeit, Attention inhibition, etc.) - Erinnerung (Interferenz, Ebbinghaussche Listen, etc.)

Warum gibt es überhaupt Grenzen?

4 Gründe für Verzerrungen

  • Zu viele Information
  • Was soll erinnert werden?
  • Nicht genügend Bedeutung
  • Schnelles Handeln erforderlich

-Link-

Ziel von Forschung ist es, allgemeingültige Aussagen und Theorien zu ermöglichen, die jenseits der subjektiven Meinung oder Erfahrung Einzelner Gültigkeit haben.

Darum Methoden!

Auch Wissenschaftler sind nicht gefeit vor: - falschem Alltagswissen - Halbwahrheiten - ungeprüftem Wissen - überholtem Wissen

Fehler fallen nicht auf: - Feste Überzeugung führt zur Erfüllung (self-fulfilling prophecy) - Kognitive Dissonanz (selektive Erinnerung, preference-based information processing)

Trifft insbesondere Kommunikationswissenschaft: - schneller Medienwandel - viele verschiedene Kontexte - falsche Übertragung - unterschiedlichste Nutzergruppen

2.8 Empirische Daten und Prozesse

  1. Sammeln von empirischen Daten
  2. Aufbereiten von empirischen Daten
  3. Analysieren von empirischen Daten
  4. Dokumentation des Prozesses

2.8.1 Unterschied zwischen qualitativ und quantitativ?

Qualitative Daten, quantitative Daten?

Qualitativee Methoden, quantitative Methoden?

2.8.1.1 Qualitative Daten

Beispiele: - Videoaufzeichnungen - Beobachtungen - Audioaufzeichnungen - Texte - Emailinhalte - Freitextfelder in Fragebögen - etc.

Daten charakterisieren den Gegenstand ohne ihn zu messen.

Fokus auf Attribute und Eigenschaften

Forschungsinteresse: Qualität dieser Charakterisierung

2.8.1.2 Quantitative Daten

Beispiele: - Sensorische Messwerte - Numerische Angaben in einem Fragebogen - Räusperhäufigkeit in einem Interview - Anzahl Fehler beim Textlesen - Emails - psychometrische Skalen - etc.

Daten vermessen den Gegenstand ohne ihn zu charakterisieren. - Häufigkeit, Länge, Dauer, Lage, Höhe, Gewicht

Forschungsinteresse: Numerische (quantitative) Zusammenhänge in den Daten entdecken oder nachweisen.

2.8.1.3 Qualitative Methoden

  1. .orange[Sammeln] von empirischen Daten
  2. .orange[Aufbereiten] von empirischen Daten
  3. .orange[Analysieren] von empirischen Daten
  4. .orange[Dokumentation] des Prozesses

Beispiele: - Tiefeninterview, leitfadengestützes Interview, Fokusgruppen - Card-Sorting, Walkthrough, User-Test - Audio- oder Video-Transkription - Inhaltsanalyse, Medienanalyse, Diskursanalyse - Grounded Theory, etc.

Fokussieren den nicht quantitativen Erkenntnisgewinn, sondern - Gründe, Ursachen, Zusammenhänge - Hypothesengenerierung - Theorieentwicklung

2.8.1.4 Quantitative Methoden

  1. .orange[Sammeln] von empirischen Daten
  2. .orange[Aufbereiten] von empirischen Daten
  3. .orange[Analysieren] von empirischen Daten
  4. .orange[Dokumentation] des Prozesses

Beispiele: - Fragebogen, Experimente, Open-Data-APIs, etc. - Explorative Statistik, Social-Network-Analysis - Video-Kodierung, Skalen-Berechnungen, - Statistische Methoden, deskriptive Statistik, Inferenzstatistik

Fokussieren den quantitativen Erkenntnisgewinn: - Modellierung und Theorieprüfung - Beschreibung - Hypothesenvalidierung - Vorhersage

2.8.1.5 4 Felder Schema

Nach Datum und Methode

  Qualitative Daten Quantitative Daten
Qualitative Methode Tiefeninterview, Fokusgruppe Einzelfallanalyse im Fragebogen
Quantitative Methode Text-Mining Inferenzstatistische Analyse eines Fragebogens

2.8.2 Anforderungen an Methoden

In der Wissenschaft existiert ein hoher Qualitätsanspruch an Ergebnisse. Deshalb sollen Methoden folgende Eigenschaften haben: - Generalisierbarkeit - Anwendbarkeit - Robustheit - Ökonomie

Ziel: zuverlässige Übertragung von Realität auf ein Modell

2.8.3 Was ist ein Modell?

Wie man eine Brücke baut

Modell-Begriff

Beschränktes Abbild der Wirklichkeit

  • Pragmatismus
  • Modellzweck, Modellkontext
  • Attributen-Abbildung
  • Verkürzung
  • Präterierte Attribute
  • Abundante Attribute
  • Kontrastierung
  • Hervorhebung von Modelleigenschaften

2.8.4 Forschungsfrage und Hypothese

Von der Forschungsfrage zum Modell.

2.8.4.1 Wie wählt man eine Forschungsfrage?

  • Literaturrecherche relevanter Ergebnisse
  • Modelle und Theorien
  • Identifikation von Unbekanntem in der Literatur
  • Quantifizierung von qualitativen Ergebnissen
  • Verknüpfung von Modellen
  • Übersetzung von Beobachtung in Forschungsfragen

2.8.4.2 Wie wählt man eine Hypothese?

Gerichtete wissenschaftliche Vermutung - widerspruchsfreie, unbewiesene Behauptung - messbare Faktoren - aus der Literatur abgeleitet - angelehnt an bestehende Modelle und Theorien

2.8.5 Faktoren-Raum

2.8.5.1 Was ist das?

  • Identifikation der beteiligten Größen der Forschungsfrage
  • Hierarchische Dekomposition des Problems
  • Vorbereitung zur Selektion (Occam’s Razor)
  • Messbarkeit
  • Verwandte Theorien und Modelle

2.8.5.2 Beispiel Forschungsfrage:

Welchen Einfluss hat Facebook auf Demokratie?

Faktoren-Raum

.img-50[ ]

.footnote[Abbildung erstellt mit draw.io]

2.8.6 Methoden und Modell

Übertragung von Realität auf Modell (und zurück): - Faktorenraum - Faktorenbeziehungen - Messbare Variablen und Faktoren - ggfs. experimentelle Variation: - Gezielte Variation der Faktoren zur Messung der Auswirkung

Gute Konzeption ist obligatorisch!

Methoden und Modelle sind disziplinenspezifisch.

2.9 Theorie und Empirie

  1. Theorie
  2. Forschungsfrage
  3. Forschungshypothese und Faktorenraum
  4. Präzisierung der Hypothese
  5. Konzeption der Untersuchung
  6. Durchführung
  7. Datenanalyse
  8. Interpretation der Daten
  9. Implikationen für die Theorie (repeat)

2.10 Wissenschaftstheorie, Theorie und Empirie

Allgemeine Wissenschaftstheorie Teilgebiet der Philosophie (engl. philosophy of science) - Welche Möglichkeiten und Grenzen hat der menschliche Erkenntnisprozess? - Gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft

Fachspezifische Wissenschaftstheorie Fachspezifisch z.B. für Kommunikationswissenschaft (engl. philosophy of communication science)

  • Ontologie (Was ist Gegenstand?)
  • Vorannahmen über den Untersuchungsgegenstand
  • z.B. Realismus vs. Idealismus
  • z.B. Kausalitätsprinzip vs. Chaos

  • Axiologie
  • Werte und Wissenschaftsethik

  • Epistemologie
  • Was ist Theorie?
  • Was ist wahr?
  • Methodologie

2.11 Grundlagen empirischer Sozialforschung

2.11.1 Erkenntniszusammenhang

Anlass, der zu dem Forschungsprozess führt Ideen, Gespräche, Exploration, die das Problem strukturieren

Drei Arten: - Ein empirisches Problem (es gibt noch keine Antwort) - Ein theoretisches Problem (es gibt empirische Antworten, die aber zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen) - Ein Auftrag Dritter

2.11.2 Begründungszusammenhang

All jene Schritte, mit deren Hilfe das Problem untersucht werden soll - Welche Untersuchungen liegen bereits vor? - Welche Theorien sind einschlägig, die heranziehbar sind? - Welche Teile des Problems werden untersucht? - Welche Hypothesen sind aufzustellen? - Welche Untersuchungsform und Methode soll angewandt werden? - Was soll „gemessen“ werden, was soll variiert werden? - Wer soll untersucht werden? - Wie soll ausgewertet werden?

2.11.3 Verwertungszusammenhang

  • Welche Effekte haben die Ergebnisse auf soziale Strukturen? (Gruppen, Gesellschaften etc.)
  • Wie allgemeingültig sind die Befunde?
  • Form der Darstellung (Zielgruppe)
  • Die Berichtspflicht (Publikation): Die Sichtbarmachung des wissenschaftlichen Fortschritts

2.11.4 Erkenntnis-, Begründungs- und Verwertungszusammenhang

  • bilden zusammen den forschungslogischen Begründungsrahmen bei empirisch-experimentellen Verfahren.
  • Wann immer der theoretische Teil der Untersuchung unklar ist, kann das Konzept und das Ergebnis nicht eindeutig sein.
  • Die saubere und kontrollierbare Konzeptualisierung einer Studie ist ein „Must“
  • sie steuert alle Entscheidungen über Methode, Stichprobe, Auswertung und bedingt die Verwertung der Ergebnisse.

2.12 Beispiel: Das Leib-Seele Problem

Zwei Extrema: 1. Alles ist Materie:

  • Menschliches Verhalten und Erleben ist also in seiner Gänze zurückführbar auf Gehirnzustände und Gehirnprozesse.
  1. Alles ist Seele oder Geist:
  • Was wir wahrnehmen und mental verarbeiten ist nicht die letzte Wirklichkeit. Wir schaffen uns die Welt in unserer Vorstellung.

Entweder Materie und Geist interagieren, oder mentale und physische Zustände existieren parallel – koordiniert oder unabhängig voneinander

Mögliche Herangehensweise: - Bezüge zwischen physiologischen Prozessen auf der einen Seite und Erleben und Verhalten auf der anderen herstellen

2.13 Induktion vs. Deduktion

Wie kann man Gesetzmäßigkeiten erkennen? 1. Situationen beobachten und dann mögliche Erklärungen finden => induktiv - Vom Teil auf das Ganze - Vom Experiment zur Theorie

  1. Mögliche (vorläufige) Erklärung (Hypothese) im Kopf haben und dann prüfen => deduktiv
  • Vom Ganzen auf das Teil
  • Von der Theorie zum Experiment

Wissenschaftliche Forschung braucht und benutzt beides!

2.13.1 Wirklichkeit als Konstruktion

Annahmen - es gibt keine unabhängig von uns existierende Welt - jeder Mensch konstruiert sich seine eigene Welt - Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Welt zu entdecken - Forschung ist eher qualitativ ausgerichtet - steht in starkem Widerspruch zu den Grundannahmen des Positivismus

2.13.2 Positivismus (oder Empirismus)

  • es gibt eine einheitliche, reale Welt, in der die Ereignisse, die für die Kommunikationswissenschaft interessant sind, stattfinden.

  • Individuum ist ein Teil dieser realen Welt, genauso wie Gedächtnisprozesse, Emotionen und Gedanken; alle diese Vorgänge haben überdauernde Eigenschaften

  • Wissenschaft erzeugt experimentelle Situationen, in denen sich psychologische Prozesse offenbaren; dies ermöglicht, diese Prozesse zu modellieren

  • die Welt ist ein Gefüge von messbaren Variablen, die miteinander in gesetzmäßiger Weise interagieren können

  • Modelle (mathematische Formulierungen) sollen zeigen, wie die Variablen zusammenwirken, insbesondere Ursache-Wirkungs-Beziehung

  • Forschung testet Hypothesen über die Zusammenwirkung von Variablen und erstellt Theorien, die nach und nach zu wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten werden

2.13.3 Kritischer Reationalismus

Gegenposition zum Positivismus (Karl Popper) - Hypothesen lassen sich .red[nicht] durch induktive Beobachtung allein prüfen - Beispielhypothese: Es gibt nur weisse Schwäne. - Theorie benötigt den Deduktionsschluß im Verstand (ratio)

Vorläufige Bestätigung und kritische Prüfung!

Falsifikationsprinzip

Ich kann durch Empirie nur beweisen, dass etwas nicht gilt. - z.B. einen schwarzen Schwan sehen.

Zwei mögliche Zustände einer Theorie: - vorläufig bestätigt oder widerlegt

2.13.4 Spezialprobleme der empirischen Sozialwissenschaften

  • Haben viele Denkansätze Ansätze aus den Naturwissenschaften übernommen
  • Beobachtbarkeit,
  • Wiederholbarkeit, etc.

  • Es gibt aber Besonderheiten im Gegenstand der Sozialwissenschaften zu beachten, z.B.:
  • latente Variable
  • Verhältnis zwischen Forscher und Gegenstand

2.13.4.1 Latente Variablen

Die latente Variable ist ein Konstrukt oder Faktor. - Beispiele: Intelligenz, Gedächtnis, Emotionen, etc.

Keine tatsächliche Entität, nicht wirklich “greifbar”

Zwei Formen der latenten Variable - formative Messung: Wie man die latente Variable misst, bestimmt ihren Inhalt. Z.B. “Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst” - reflektive Messung: sozialwissenschaftliche Tests und empirische Untersuchungsformen als Indikatoren für etwas “Dahinterliegendes”

2.13.4.2 Verhältnis Forscher – Gegenstand

Früher (naive Vorstellung) Forscher waren oft auch Probanden für ihre Forschung, z.B. zu Denk- und Gedächtnisprozessen

Prinzipielle Austauschbarkeit der Rollen von Forscher und Erforschten möglich

Modern (kritischer Rationalismus) Probanden werden zu Forschern und untersuchen den Versuchsleiter - “Was könnte der von mir wollen?”

Erwartungen auf beiden Seiten (Forscher und Proband) können Verhalten und Erleben stark beeinflussen

2.13.5 Woher kommen Theorien

Intuition - Spontanität - hohes Maß an Vorarbeit erforderlich, z.B. intentsives Literaturstudium - grundlegendes Verständnis erhöht die Chance, dass ein neuer Eindruck zu einer guten Idee führt

Induktion - von etwas Besonderem auf etwas Allgemeines, von Daten auf Theorien schließen - je besser das Grundwissen fundiert ist, desto fundierter sind auch die abgeleitetenTheorien

Metaphern - Mechanismus oder Modell aus anderem – oft technischem – Bereich wird als Analogie für sozialwissenschaftliche Prozesse genutzt - Beispiel: Computer als Methapher in der kognitiven Psychologie (Speichermodule oder Programme als Analogien zu Arbeitsspeicher oder Gedächtnisvorgängen)

Grounded Theory (Glaser und Strass, 2005/1967) - Theorien sollten immer auf Daten gegründet sein - sukzessives Kodieren soll zu immer abstrakteren Kategorien führen, deren systematische Verbindung dann eineTheorie liefert

2.13.6 Begriffsklärung

Methode Ein Verfahren für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn.

Methodik Die Beschreibung der (mehreren) eingesetzten Verfahren im Zusammenhang einer Forschungsfrage. Beschreibung von “was man tut” oder “was man kann”.

Methodologie Wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Methoden und ihrem Einsatzgebiet, ihrer Grenzen und ihrer Auswahl.

=> Metawissenschaft.

2.14 Übersicht über empirische Methoden

Sammeln von Daten - Erhebungsmethoden Hier quantitativ (z.B. Fragebogenstudie oder Experiment). Dazu gehört Wissen über: - Testtheorie, Stichprobenziehung, Survey-Methodik, Skalen, etc.

Auswerten von Daten - Auswertungsmethoden Deskriptive, explorative und Inferenzstatistik - Unterscheidung nach Methodenzweck - Beschreiben, Entdecken und Prüfen - Strukturentdeckende Verfahren vs. strukturprüfende Verfahren

Viele (nicht alle) Verfahren können mit allen drei Zwecken eingesetzt werden. - Beispiel: Korrelationsanalyse

  1. Digitale Methoden der Erhebung

  2. Forschungsintstrument entwickeln, Messtheorie, Skalenniveaus
  3. Deskriptive Statistik, zentrale Tendenz und Streuung
  4. Verteilungen, Stichproben und Wahrscheinlichkeit
  5. Inferenz, Hypothesen, Fehler 1. und 2. Art, t-Test
  6. Alpha-Fehler Kummulierung, ANOVA, MANOVA, Bonferroni
  7. Zusammenhänge, Korrelation, lineare Regression
  8. Skalen, Likert-Skalen, Reliabilität und Faktoren-Analyse
  9. Explorative Statistik, parametrische und nicht-parametrische Verfahren
  10. Conjoint-Verfahren, Cluster-Analyse
  11. Effekt-Stärken und Poweranalyse