2.7 Aufmerksamkeit

Nachdem wir nun schon mehrfach das Konzept der Aufmerksamkeit in unsere Erklärungen von Wahrnehmungsphänomene integriert haben, sollten wir uns klar machen, was genau wir darunter verstehen.

Auf der Suche nach einer Begriffsklärung stellen wir sehr bald fest, dass die Ansichten und Ansätze recht vielfältig sind. So stellt William James schon 1890 lapidar fest, dass wir ja ohnehin alle wissen, was unter Aufmerksamkeit zu verstehen sei: “Everyone knows what attention is” (James, 1890, S. 404). Eine Ansicht, die Elizabeth Styles mehr als 100 Jahre später deutlich widerspricht: “Despite William James’s oft-quoted remark it would be closer to the truth to say that ›Nobody knows what attention is‹ or at least not all psychologists agree” (Styles, 2006, S. 1).

2.7.1 Informationsverarbeitung

Ein Blick auf unser Modell der menschlichen Informationsverarbeitung hilft uns weiter. Die Aufmerksamkeit sitzt hier quasi wie die Spinne mittig in ihrem Netz; mit Tentakeln zu allen relevanten Schritten und Konzepten.

Dabei übt die Aufmerksamkeit zwei recht unterschiedliche Funktionen aus: Sie ist mit dafür verantwortlich, dass die vielen parallelen Pfeile bei der sensorischen Reizaufnahme nach rechts zur Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung hin weniger werden. Sie übt damit eine Filterfunktion aus. Darüber hinaus kann ein Mehr an Aufmerksamkeit jeden Verarbeitungsschritt unterstützen – bzw. ein Zuwenig an Aufmerksamkeit die Verarbeitung hindern, wie wir oben bereits mehrfach festgestellt haben; Stichwörter Aufmerksamkeitsblindheit und Change Blindness. Hier hat Aufmerksamkeit sicher auch eine energetische Funktion.

2.7.2 Filter & Fuel

Diese beiden Aspekte der Aufmerksamkeit fassen Wickens et al. (2022) in der knappen Formulierung Filter & Fuel zusammen. Die Filterfunktion hat eine selektive Wirkung auf die Verarbeitung. Fuel (alternativ: Ressourcen, Aufmerksamkeitsressourcen) hat eine energetische, unterstützende Wirkung auf die Verarbeitung.

Die Darstellung auf der Folie liefert keinen wirklich neuen Beitrag zu unserem Wissen. Wir sehen auch hier das Informationsverarbeitungsmodell. Die zweiteilige Rolle der Aufmerksamkeit wird hier aber deutlich herausgestellt: Filter und Ressourcen (= Fuel).

2.7.3 SEEV-Modell

Betrachten wir zunächst den selektiven Aspekt der Aufmerksamkeit. Dazu hat Wickens in diversen Veröffentlichungen ein sehr pratikables Modell der selektiven Aufmerksamkeit vorgeschlagen – das SEEV-Modell (vgl. Wickens et al., 2022).

Das Modell knüpft an unserer Unterscheidung von bottom-up und top-down Einflüssen an: Die Wahrscheinlichkeit einer Selektion wird dabei durch die Auffälligkeit (engl. Salience) von visuellen oder auditiven Reizen erhöht, durch die erforderliche Anstrengung (engl. Effort) der Selektion verringert. Die Erwartung (engl. Expectancy) über das Auftreten eines Reizes an einem bestimmten Ort ist erfahrungsabhängig und ist positiv korreliert mit der Wahrscheinlichkeit einer Selektion. Der Wert (engl. Value) eines aufzunehmenden Reizes ist eng mit der Priorisierung der aktuell zu erfüllenden Aufgabe verbunden und steht in positivem Zusammenhang mit der Selektionswahrscheinlichkeit.

Diese Einflüsse auf die Selektionswahrscheinlichkeit können in Form einer Gleichung zusammengefasst werden:

\[ P(A) = sS − efEF + exEX + vV \]

Dabei stehen Kleinbuchstaben für die Gewichte der Dimensionen und Großbuchstaben für deren Ausprägung. Wickens und Kollegen konnten das Modell in mehreren Studien in Fahr- und Flugszenarien validieren (vgl. Wickens et al., 2022).

Aufgabe: Beispiel-Anwendung des SEEV-Modells

Lösung: 2 - 3 - 4 - 1 (wenn die ursprüngliche Sequenz innerhalb des Akronyms verwendet wird)

Das SEEV-Modell ist in der Lage, zentrale Aspekte der Selektion abzubilden. Um die Reaktion auf veränderte Aufgabenanforderungen hinsichtlich Umfang und Verteilung von Aufmerksamkeit beschreiben zu können, ist aber eine energetische Perspektive nötig, die wir im Folgenden einnehmen werden.

2.7.4 Kapazitätsmodell

Geteilte Aufmerksamkeit

Nicht zuletzt durch die Digitalisierung und die wachsende Zahl an elektronischen Benutzerschnittstellen steigen die Anforderungen an die menschliche Informationsverarbeitung. Wir werden dazu gedrängt und nötigen uns häufig selbst dazu, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Stichwort Multitasking. Dabei müssen wir unsere Aufmerksamkeit möglichst gleichzeitig auf mehrere unterschiedliche Dinge, Orte oder Situationen richten. Das sind Herausforderungen für unsere geteilte Aufmerksamkeit. Auch zur geteilten Aufmerksamkeit gibt es unterschiedliche Modellannahmen.

Modelle unspezifischer Kapazität

Beginnen wir mit Modellen, die eine einheitliche und unspezifische Kapazität annehmen (bezeichnet auch als Einzelressourcenmodelle, engl. single resource models). Für diese Modelle richtet sich die Zuweisung dieser Kapazität oder Ressource zu Aufgaben allein nach Anforderung (engl. demand) und Angebot (engl. supply). Die Schwierigkeit einer Aufgabe bestimmt die Ressourcen-Anforderung. In manchen Modellen wird das Ressourcen-Angebot als konstant angenommen (z. B. das Modell von Navon & Gopher, 1979). Die meisten Modelle gehen aber von einer variablen Kapazität aus, die von situativen und individuellen Aspekten beeinflusst wird.

Das bekannteste dieser Modelle ist auf der Folie dargestellt. Es stammt von Kahneman (1973). Kahneman argumentiert, dass dem kognitiven System ein einheitliches Reservoir begrenzter Kapazität zur Verfügung steht, um die Aufgabenausführung zu unterstützen. Schwierige Aufgaben erfordern eine große Menge dieser Ressource, was zu Problemen führt, wenn gleichzeitig andere Prozesse darauf zugreifen müssen. Einfache, hoch geübte oder automatisierte Aufgaben erfordern wenige Ressourcen und können leichter gleichzeitig ausgeführt werden. Im Gegensatz zu sog. Einkanal-Theorien kann dieses Modell die Parallelisierung, also die erfolgreiche gleichzeitige Ausführung mehrerer Tätigkeiten, erklären. Die allgemeine Gesamtmenge an Ressourcen ist variabel und abhängig vom individuellen Erregungslevel (das erinnert uns an das Modell von Yerkes & Dodson). Die tatsächlich einsetzbare Menge an Ressourcen wird von überdauernden individuellen Eigenschaften und den unmittelbaren Absichten beeinflusst, die die Zuweisungsstrategie bestimmen. Für schwierige Aufgaben kann das Erregungsniveau adaptiv gesteigert und so die verfügbare Menge an Ressourcen erhöht werden.

Kahneman sieht in Aufmerksamkeit ein energetisches Konzept, das willkürlich verteilt werden kann. »Aufmerksamkeit« wird von ihm analog zu »Anstrengung« verwendet, um den energetischen Charakter der Aufmerksamkeit als graduell manipulierbare Größe zu betonen.

Modelle spezifischer Kapazität

Kahnemans Modell einer einzelnen, unspezifischen Ressource erklärt Interferenzen zwischen Aufgaben über das Angebot der Ressource oder über strukturelle Effekte, wenn beispielsweise gleichzeitig auf zwei entfernt voneinander liegende Punkte geblickt werden soll. Interferenzeffekte für leichte Zweifachaufgaben, die nicht über solche Struktureffekte zu erklären sind, führen zur Formulierung von Modellen, die mehrere spezifische Ressourcen annehmen.

Wir werden nicht im Detail auf diese Modelle eingehen, sondern eines auswählen, das über die letzten Jahrzehnte häufig im Bereich Human Factors angewendet worden ist.

Das Mehrfachressourcenmodell von Wickens (2020) beschreibt eine begrenzte Anzahl an Ressourcen und ihre Verarbeitung, was viele experimentelle Befunde zu Interferenzeffekten in Multitasking-Aufgaben erklären kann. Nach Wickens ist das Mehrfachressourcenmodell ein “model of time-sharing or multitask divided attention performance” (Wickens et al., 2008, S. 242). Wickens stellt den Bezug zu unserem Modell der Informationsverarbeitung her. Dabei sieht er die Aufmerksamkeit als Kleber, “that binds together all the various components of cognition and human information processing” (Wickens et al., 2008, S. 242).

Er charakterisiert den Verarbeitungsprozess anhand der Stufen eines vereinfachten Informationsverarbeitungsmodells (Wahrnehmung, zentrale Verarbeitung, Handlungsausführung), Modalität (visuell, akustisch), Codierung (verbal, räumlich) und visueller Kanal (fokal, peripher). Gleichzeitig ausgeführte Aufgaben beeinflussen sich danach umso mehr, je größer ihre Übereinstimmung in diesen Attributen ist.

Wickens et al. (2008) betont, dass die Architektur des Mehrfachressourcenmodells aus drei Komponenten besteht, die die Leistung bei Multitasking-Aufgaben bestimmen:

  • Die Struktur der Ressourcen: Bei Mehrfachaufgaben betrifft das insbesondere den Grad der Ähnlichkeit der Aufgaben. Damit können Interferenzeffekte unabhängig vom Grad der Belastung erklärt werden.
  • Die Ausprägung der Ressourcen-Anforderung: Die Anstrengung, mit der auf eine Anforderung reagiert wird, ist dagegen stark abhängig vom Grad der Belastung, die von der Aufgabe ausgeübt wird.
  • Und schließlich die Zuweisungsstrategie: Die Verteilung der Ressourcen kann nach individueller Einschätzung der Anforderungen erfolgen.

Im nächsten Abschnitt werden wir mit Workload, Belastung und Beanspruchung Konzepte einführen, die in enger Beziehung zur Auffassung von Aufmerksamkeit als Ressource stehen.

2.7.5 Workload

Hinweis: Da es sich hier um ein Thema meiner Doktorarbeit4 handelt, hole ich etwas weiter aus und plagiiere mich dabei zum Teil selber.

Das Konzept der Workload spielt nicht nur bei der Berechnung der Arbeitslast für Studierende eine Rolle5. Vor allem bei der Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen und Benutzerschnittstellen ist Workload eine wichtige Größe.

Workload ist eng verbunden mit dem energetischen Aspekt der Aufmerksamkeit. Die Entwicklung der Workload-Forschung wiederum ist eng verbunden mit Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit von Mensch-Maschine-Systemen, die insbesondere seit den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts im Bereich der Fliegerei nötig wurden. Dazu ein kurzer Exkurs.

Leistungsdefizite, die zu Luftfahrt-Unfällen mit teils katastrophale Folgen führten, wurden häufig undifferenziert unter dem Begriff “pilot error” zusammengefasst. Die Analyse der Begleitumstände dieser “Fehler” führt zu der Erkenntnis, dass die Leistung des Gesamtsystems von den Verarbeitungskapazitäten des Piloten abhängt. Diese werden beeinflusst von Menge und Art der auszuführenden Aufgaben, die wiederum von der Gestaltung der Benutzerschnittstelle abhängig sind.

Workload ist ein Schlüsselkonzept, das die praktischen Auswirkungen der Anforderungen an die Informationsverarbeitungsprozesse des Piloten und damit die Leistung des Gesamtsystems widerspiegelt. Es stellt deshalb ein wichtiges Kriterium für die Einführung neuer Technologie im Cockpit dar.

Aber natürlich nicht nur da.

Über das Konstrukt Workload wird der Bezug zwischen Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeit und situativen Ansprüchen an die Operateurin und dessen erbrachter Leistung erfasst, wie wir gleich in den diversen Begriffsbestimmungen und Definitionen sehen werden.

Begriffsbestimmung

Zuerst eine kleine Anmerkung: Die Begriffe mentale Workload, kognitive Workload oder einfach Workload können wir im Folgenden als synonym auffassen.

Es gibt dazu eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen. Diese wollen wir nicht alle einzeln diskutieren. Stellvertretend für viele weitere hier zwei Definitionen; die erste aus Wickens (2002), die zweite aus De Waard & Brookhuis (1996).

  • Wickens: Mental workload describes the relation between the (quantitative) demand for resources imposed by a task and the ability to supply those resources by the operator.
  • DeWaard: Workload is the specification of the amount of information processing capacity that is used for task performance Das soll uns genügen.

Wir wollen auf die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Schwerpunkte der Definitionsansätze eingehen:

  • Workload weist einen Bezug zu Anforderungen aus der Umwelt auf.
  • Diese Anforderungen werden meist in Beziehung gesetzt zu einer Ressource oder Kapazität, die ein Operateur, Pilot, Benutzer o.ä. bereitstellt um das Ziel einer Aufgabe zu erreichen.
  • Die Verbindung von Anforderungen und Ressourcen sehen viele Ansätze im Bezug beider Konzepte zur Informationsverarbeitung
  • Viele Autoren stellen den Leistungsaspekt ihrer Auffassung von Workload in den Vordergrund.

Die meisten Workload-Definitionen formulieren Ansprüche einer Aufgabe an den Operateur. Dabei erfolgt eine Trennung zwischen externen Ursachen und internen Folgen. Diese Trennung in äußere Einflüsse und subjektive Auswirkung betont das Belastungs-Beanspruchungskonzept, das im deutschen Sprachraum besonders im Bereich der Arbeitswissenschaften große Bedeutung hat.

Belastung und Beanspruchung

In den Definitionen von Workload wird zwischen von außen wirkenden Anforderungen (engl. demands) und den individuellen Reaktionen darauf unterschieden. Diese werden als Kosten der Informationsverarbeitung, Ressourcenzuweisung oder Anstrengung aufgefasst. Eine noch deutlichere Trennung nimmt hier das Belastungs-Beanspruchungskonzept vor. Die Begriffe werden seit den 1940er Jahren in der deutschsprachigen Arbeitspsychologie im Sinne einer psychischen – in Abgrenzung zur physischen – Einwirkung auf den Operateur verwendet.

Seit 1987 ist das Konzept der psychischen Belastung und Beanspruchung Bestandteil einer DIN-Norm (DIN 33405, 1987). Danach wird psychische Belastung definiert als “die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken”. Psychische Beanspruchung wiederum ist “die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand”. Diese Norm wurde Teil des europäischen Normenwerks und infolgedessen auch als deutsche Norm übernommen (DIN EN ISO 10075, 2000).

Zwischen Belastung und Beanspruchung wird also eine Ursache-Wirkung-Beziehung vermutet. Äußere Faktoren belasten den Organismus, der mit Beanspruchung reagiert. Im Verständnis von Beanspruchung als Belastungsfolge, stimmt dieser Ansatz weitgehend mit der Erfassung von Workload überein.

Beide Konzepte werden auf ähnliche Art operationalisiert (also messbar gemacht) und deshalb in deutschsprachigen Veröffentlichungen als weitgehend synonym verwendet. Die scheinbar saubere konzeptuelle Abtrennung der Belastung als externe Ursache der Beanspruchung wird aber dann problematisch, wenn es um die Operationalisierung von Belastung geht. Die Definition suggeriert eine Objektivität des Konstrukts, die eine einfache Messung der relevanten Bestimmgrößen nahe legt. Häufig wird dazu die Analogie zur physischen Belastung strapaziert, indem beispielsweise das Gewicht eines anzuhebenden Gegenstands als Entsprechung der psychischen oder kognitiven Belastung herhalten muss.

Die Problematik dieses Ansatzes wird deutlich, wenn man ihm ein Verständnis von Workload gegenüberstellt, das als hypothetisches Konstrukt in der Interaktion Operateur–Aufgabe begründetet ist und nicht unabhängig vom Operateur/Benutzer betrachtet werden kann. Durch die Messung des Gewichts kann tatsächlich davon ausgegangen werden, die physikalische Belastung zu erheben, da die Beziehung zwischen Aufgabe und Operateur auch für Unbeteiligte nachvollziehbar, transparent und nicht sehr variabel ist.

Für die Messung der “Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die (…) auf den Menschen (…) psychisch einwirken” wird deutlich, dass die Beziehung zwischen leicht messbaren physikalischen Größen und deren psychischen Einflüssen nicht transparent, nur schwer nachvollziehbar und hoch variabel ist. Ein Umstand, den Schmidtke (2002) so kommentiert: “Einer solchen Messung hat sich die Komponente Belastung bisher als unzugänglich erwiesen. Dies liegt u.a. am Fehlen eines Bezugssystems für die außerordentliche Vielfalt an Aufgaben, die durch mentale Tätigkeit zu bewältigen sind.”

Zwischenfazit und Konsequenzen

Die Ausführungen der beiden vorangegangenen Abschnitte lassen folgende Schlussfolgerungen zu: Die verschiedenen Definitionen von Workload betonen verschiedene Aspekte der Interaktion, stehen sich aber nicht unversöhnlich gegenüber. Ähnliche Auffassungen von Konzepten und Prozessen überwiegen. Versucht man, die verschiedenen Definitionen zu integrieren, lassen sich die folgenden Punkte herausarbeiten:

  • Workload entsteht primär durch die Anforderungen einer Aufgabe an den Operateur.
  • Den Anforderungen begegnet der Operateur mit der Mobilisierung von Ressourcen durch Aktivierungsprozesse, beispielsweise durch Anstrengung.
  • Die Kopplung von Anforderungen und Ressourcen erfolgt über die Belastung des Informationsverarbeitungssystems.
  • Mit der Handlungsausführung als Ergebnis der Informationsverarbeitung wird die enge Verbindung von Workload und Leistung deutlich.
  • Der Begriff der Ressource oder Kapazität, wie er in den meisten Definitionen verwendet wird, ist überwiegend kompatibel zur Auffassung von Ressource als energetischem Konstrukt der Aufmerksamkeit; das limitiert ist, dessen Zuweisung aber bewusst und willentlich erfolgen kann.
  • Nach dieser Auffassung entsteht Workload durch Anforderungen an die verschiedenen Stufen der Informationsverarbeitung.

Messung von Workload

Bevor wir uns damit auseinandersetzen, wie man Workload messen kann, sollten wir uns darüber im Klaren sein, warum wir das überhaupt tun wollen.

Nachdem Workload ein Konstrukt ist, das vorwiegend bei der Interaktion mit Artefakten6 relevant ist, wird auch seine Messung vor allem in diesem Kontext – dem Bereich Human Factors Engineering – umgesetzt. Hier ist zu beobachten, dass Workload in einem Bezug zu Leistung im weitesten Sinn steht. Dieser Bezug ist nicht völlig klar. In manchen Situationen oder Kontexten kann die Leistung von einer geringfügigen Steigerung der Workload profitieren; sie wird als anregend empfunden. Wenn aber die Beanspruchung zu groß wird, bricht die Leistung ein. Vor allem in Bereichen, in denen mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausgeführt werden sollen, ist das schnell zu beobachten (vgl. die Ausführungen oben zum Thema Multitasking).

In solchen Situationen werden unsere Informationsverarbeitungskapazitäten überbeansprucht. Wie wir wissen, sind diese Kapazitäten begrenzt. Es ist der Zweck von Workloadmessung, diese Kapazitäts-Bottlenecks, die während der Interaktion auftreten, zu identifizieren.

Damit können beispielsweise unterschiedliche Gestaltungsvarianten eines Produkts, dessen Bedienung ein gewisses Maß an Workload hervorruft, evaluiert werden. Sie können hinsichtlich der erzeugten Workload miteinander verglichen werden. Wenn ein Navigationssystem bei der Benutzung im Fahrzeug weniger Workload hervorruft als ein Alternativprodukt, hat es dadruch einen Vorteil.

Es schließt sich die Frage des “Wie?” an; welche Methoden gibt es, um Workload zu messen? Die Ansätze können den Bereichen der Verhaltensmaße, der physiologischen Maße sowie der subjektiven Maße zugeordnet werden.

Starten wir mit dem Verhalten.

Workload ist immer dann relevant, wenn unsere Informationsverarbeitungskapazitäten an ihre Grenzen kommen. Das ist beispielsweise regelmäßig der Fall, wenn wir versuchen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun; beispielsweise beim Autofahren. Hier neigen wir dazu, dass wir uns nebenbei vielleicht etwas zu intensiv mit dem Navi, dem Radio oder gar dem Smartphone – also einer Sekundär- oder Tertiäraufgabe – beschäftigen, während wir unsere Ressourcen eigentlich auf die primäre Fahraufgabe konzentrieren sollten. Der Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist ein vermuteter Zusammenhang zwischen Workload und Leistung (s. o.): Wenn die Workload zu hoch wird, nimmt die Leistung ab.

Um die Workload in solchen Situationen über unser Verhalten messen zu können, gibt es zwei grundlegende Ansätze:

  • Wir können Workload über die Leistung in der Primäraufgabe erheben.
  • Auf der folgenden Folie wenden wir uns einem zweiten Ansatz zu und schätzen Workload über die Leistung in einer Zusatzaufgabe ab.

Sehen wir uns zwei Beispiele an, um den ersten Ansatz für Workload-Situationen im Fahrzeug zu implementieren. Dazu brauchen wir eine primäre Aufgabe, deren Leistung wir gut quantifizieren können. Wir könnte das beim Fahren eines Fahrzeugs aussehen? Beide Beispiele basieren auf Fahraufgaben, die im Fahrsimulator durchgeführt werden, da dort zum einen die Messung von Fahrparametern leichter ist und zudem eine künstliche Erzeugung von beanspruchenden Situationen keine Unfälle nach sich ziehen kann.

Eine Möglichkeit stellt hier die Abweichung von einem Normkurs dar. Die Proband:innen werden instruiert, während einer Fahrt möglichst exakt auf einem vorgegeben Kurs zu bleiben. Abweichungen von diesem Kurs können über den sog. Root Mean Square Error (RMSE) quantifiziert werden. Der RMSE ähnelt konzeptuell einer Standardabweichung. Wir können es uns auch als durchschnittliche Abweichung von einer Normvorgabe vorstellen.

Das zweite Beispiel ist die sog. Lane Change Task. Hier werden – ebenfalls im Simulator – Fahrsituationen absolviert, in denen Spurwechsel erforderlich werden. Das Fahrverhalten kann anhand verschiedener Leistungsparameter quantifiziert werden.

Die grundlegende Logik des Vorgehens ist: Wenn die Workload in bestimmten Situationen steigt (z. B. durch erforderliches Multitasking), nimmt die Leistung in der Primäraufgabe ab, was sich in den Leistungsparametern niederschlägt.

Wenn die Primäraufgabe vorgegeben ist und nicht künstlich verändert werden kann (z. B. indem man die Lange Change Task einsetzt), gibt es noch die Möglichkeit, die Workload über die Leistung in einer Zweitaufgabe zu erfassen. Hier lautet die Instruktion meist, dass die Leistung in der Primäraufgabe zu schützen ist; dass also das Hauptaugenmerk auf diese gerichtet werden soll. Mit den verbleibenden Ressourcen soll eine Zweitaufgabe durchgeführt werden, deren Leistung wiederum gut quantifizierbar ist.

Im Rahmen meiner Doktorarbeit haben wir diesen Ansatz im Bereich der Luftfahrt angewendet. Die verwendeten Zweitaufgaben waren hinsichtlich ihrer Stellung im Informationsverarbeitungsmodell recht unterschiedlich. Wir haben schwerpunktmäßig visuelle, kognitive bzw. motorische Aufgaben verwendet. Über die Leistung unserer Probanden in den Zusatzaufgaben konnten wir Aussagen über ihre Workload und auch über das Workload-Profil entlang des Informationsverarbeitungsmodells machen; also: wird die Workload in einer bestimmten Situation eher durch visuelle, kognitive oder motorische Belastung erzeugt?

Manchmal werden solche Zweitaufgaben mit der Instruktion verwendet, dass deren Leistung geschützt werden soll – also nicht die in der eigentlichen Primäraufgabe. Die Ressourcen sollen dann dieser Sekundäraufgabe zugewiesen werden. Dann spricht man statt von Zweitaufgaben von sog. Loading-Tasks.

Workload über Verhaltensparameter zu messen, ist offenbar relativ aufwändig. Zudem verändert es die ursprüngliche Situation, indem eine standardisierte Primär- oder Sekundäraufgabe eingeführt wird.

In dieser Hinsicht ist der subjektive Ansatz völlig unbedenklich. Hier füllen die Proband:innen nach Bearbeiten (oder allgemeiner: Erleben) einer beanspruchenden Situation geeignete psychometrische Fragebögen aus. Das sind Fargebögen, deren Entwicklung bestimmten Qualitätsstandards genügt, so dass sie tatsächlich als Messinstrumente angesehen werden können. Von diesen gibt es für Workload eine ganze Reihe. Das sicherlich bekannteste Verfahren, das auch in diversen Übersetzungen vorliegt ist der NASA TLX Fragebogen (Hart, 2006); TLX steht dabei für Task Load Index, NASA steht für die NASA, die wir kennen. Hier werden Ratings entlang der folgenden sechs Dimensionen abgegeben:

  • Mental Demand
  • Physical Demand
  • Temporal Demand
  • Overall Performance
  • Effort
  • Frustration Level

Informationen zum NASA TLX finden Sie beispielsweise auf dieser Seite der NASA.

In einem optionalen Zwischenschritt werden die Dimensionen gewichtet. Die Ratings werden dann einfach (mit oder ohne Gewichtung) summiert. Das Ergebnis wird meist auf Werte von 0 bis 100 normiert.

Als noch einfachere und schnellere Alternative existieren Ein-Item-Workload-Fragebögen, wie beispielsweise der RSME (steht für Rating Scale Mental Effort; Achtung: nicht zu verwechseln mit dem RMSE; eine Beispielanwendung finden Sie in Ghanbary Sartang et al. (2016)). Hier werden entlang einer Dimension verbale Workload-Marken platziert, die Zahlenwerten entsprechen. Die eigene Beanspruchung platziert man entsprechend auf der Skala. Die Werte reichen von 0 bis 150, lassen sich aber auch leicht auf 0 bis 100 normieren.

Es würde diesen Rahmen sprengen, wenn wir im Detail auf die vielen verschiedenen Möglichkeiten eingehen würden, mit denen man versucht, Workload-bezogene physiologische Parameter zu erheben.

Wir nennen drei davon:

  • Aus einem Elektrokardiogramm (EKG) lassen sich unterschiedliche Workload-relevante Messgrößen ableiten. Eines davon ist die Variabilität der Intervalle zwischen einzelnen Herzschlägen, kurz die Herzratenvariabilität (HRV). Dabei ist ein vielleicht nicht intuitiver Zusammenhang zu beobachten: Mit steigender Workload sinkt die HRV; die Herzschläge werden also regelmäßiger.

  • Auch aus EEG-Ableitungen der Gehirnaktivität lassen sich diverse Informationen gewinnen, die Rückschlüsse auf die kognitive Beanspruchung zulassen.

  • Ein schon relativ altes physiologisches Verfahren (vgl. Kahneman, 1973) ist das Messen des Pupillendurchmessers. Dieser steigt mit zunehmender Workload. Das macht sich beispielsweise der Index of Cognitive Acivity, kurz ICA, zunutze (Marshall, 2002).

Alle diese Verfahren haben dieselben grundlegenden Probleme: Sie sind aufwändig – erfordern also großen apparativen Aufwand – und unspezifisch. Das heißt, dass die entsprechenden Parameter auch in Situationen geringer kognitiver Beanspruchung auf ähnliche Weise reagieren können. So reagiert der Pupillendurchmesser beispielsweise auch auf physische Anstrengung oder emotionale Beanspruchung.

Von besonderem Interesse im Zusammenhang mit der Messung von mentaler Beanspruchung ist das sog. Useful Field of View, abgekürzt als UFOV. Das UFOV ist der Ausschnitt des Sehfelds, in dem innerhalb einer Fixation visuelle Information aufgenommen werden kann. Das UFOV ist damit ein kleinerer Teilbereich des Sehfeldes. Interessant ist dabei, dass sich das UFOV dynamisch mit der Beanspruchung durch die Situation ändert. Typische Werte liegen dabei im Bereich von 1° bis 15°. Je beanspruchter wir in einer Situation sind, desto kleiner wird unser UFOV; wir sind dann sprichwörtlich im Tunnel.

Diese Dynamik kann man sich mit einer entsprechenden Messmethode zunutze machen; der sog. Peripheral Detection Task (vgl. Martens & Van Winsum, 2000). Hier werden Proband:innen Reize im peripheren Sehfeld präsentiert, auf die sie reagieren sollen. Anhand der benötigten Zeit und der gemachten Fehler können das UFOV und damit die aktuelle Workload abgeschätzt werden.

Dabei ist zu beachten, dass das UFOV sich altersabhängig entwickelt. So haben Senior:innen im Durchschnitt ein kleineres UFOV als junge Erwachsene.

Lassen Sie mich zum Ende der Ausführungen zur Aufmerksamkeit etwas missionarisch werden.

Im Jahr 2017 hatte ein 17-Jähriger in Regensburg einen Unfall. Er ging an der Donau spazieren und hat sich währenddessen mit seinem Smartphone beschäftigt. Dabei hat er die Kaimauer nicht gesehen und ist in die Donau gefallen. Leider konnte er nicht schwimmen. Er ertrank. Seine Leiche wurde einige Tage später gefunden.

Das ist nicht die typische Geschichte, die wir hören, wenn jemand auf den problematischen Einfluss von Smartphones auf unsere Aufmerksamkeit hinweisen möchte.

Meist geht es dabei um Distracted Driving – also die Ablenkung unserer Aufmerksamkeit von der Primäraufgabe durch das Smartphone. Die Situation ist seit langem aus wissenschaftlicher Sicht ziemlich eindeutig: Smartphones während der Fahrt zu bedienen ist eine schlechte Idee. Die Reaktionszeit steigt, die Einschätzung unterschiedlicher Merkmale der Fahrsituation ist falsch und dadurch steigt das Risiko eines Unfalls.

Dabei gilt: “Texting while Driving” ist eine besonders schlechte Idee7. Aber schon das einfache Telefonieren kann problematisch werden; dabei ist nach aktuellen Forschungsergebnissen der Einsatz einer Freisprechanlage von Vorteil.

Kurzfassung: Lassen Sie Ihr Smartphone in der Tasche oder schalten Sie es aus/in Flugzeugmodus, wenn Sie am Steuer sitzen. Ihre Fahrleistung nimmt ab – Sie kommt dem eines betrunkenen Fahrers nahe – auch wenn Ihnen das vielleicht selbst gar nicht auffällt.

Literatur

De Waard, D., & Brookhuis, K. (1996). The measurement of drivers’ mental workload. Thesis.
DIN 33405. (1987). Psychische Belastung und Beanspruchung: Allgemeines, Begriffe (DIN 33405:1987-2).
DIN EN ISO 10075. (2000). Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung - Teil 1: Allgemeines und Begriffe (DIN 10075:2000-1).
Ghanbary Sartang, A., Ashnagar, M., Habibi, E., & Sadeghi, S. (2016). Evaluation of rating scale mental effort (RSME) effectiveness for mental workload assessment in nurses. Journal of Occupational Health and Epidemiology, 5(4), 211–217.
Hart, S. G. (2006). NASA-task load index (NASA-TLX); 20 years later. Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society Annual Meeting, 50, 904–908.
James, W. (1890). The principles of psychology (Vol. 1). Macmillan London.
Kahneman, D. (1973). Attention and effort. Citeseer.
Marshall, S. P. (2002). The index of cognitive activity: Measuring cognitive workload. Proceedings of the IEEE 7th Conference on Human Factors and Power Plants, 7–7.
Martens, M., & Van Winsum, W. (2000). Measuring distraction: The peripheral detection task. TNO Human Factors, Soesterberg, Netherlands.
Navon, D., & Gopher, D. (1979). On the economy of the human-processing system. Psychological Review, 86(3), 214.
Schmidtke, H. (2002). Vom sinn und unsinn der messung psychischer belastung und beanspruchung. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 56(1-2), 4–9.
Styles, E. (2006). The psychology of attention. Psychology Press.
Wickens, C. D. (2002). Multiple resources and performance prediction. Theoretical Issues in Ergonomics Science, 3(2), 159–177.
Wickens, C. D. (2020). Processing resources and attention. In Multiple-task performance (pp. 3–34). CRC Press.
Wickens, C. D., McCarley, J. S., Alexander, A. L., Thomas, L. C., Ambinder, M., & Zheng, S. (2008). Attention-situation awareness (a-SA) model of pilot error. Human Performance Modeling in Aviation, 213–239.
Wickens, C. D., McCarley, J. S., & Gutzwiller, R. S. (2022). Applied attention theory. CRC press.

  1. Googeln Sie bei Bedarf nach: Armin Eichinger Dissertation↩︎

  2. Nach aktueller Lesart entspricht ein Punkt im ECTS einer Workload von 30 Stunden.↩︎

  3. Produkten, Prozessen, Maschinen, Computern etc.↩︎

  4. Werner Herzog hat zu diesem Thema einen ca. 30-minütigen Dokumentarfilm gedreht: https://www.youtube.com/watch?v=Xk1vCqfYpos↩︎