Repertory Grid Analyse
Aufgabe
1 Repertory Grid Technik
George A. Kelly (1905-67) stellte die Repertory Grid Technik 1955 vor. Das Verfahren basiert auf einem elaborierten theoretischen Unterbau der Theorie der persönlichen Konstrukte. Er nannte das Verfahren Role Construct Repertory Grid. Sein Anliegen war es, mittels dieser Technik das Repertoire an Konstrukten zu erfassen, das eine Person im Umgang mit Trägern von für sie relevanten Rollen wie z. B. „Mutter“, „Vater“, „Vorgesetzte“ usw. benutzt und in einer Matrix (engl.: grid) darzustellen. Bekannt ist das Verfahren auch unter Namen wie: REP-Test, Kelly-Grid, Kelly-Matrix oder Konstrukt-Gitter. Seit geraumer Zeit wird das Verfahren nicht nur für die Wahrnehmung personaler und sozialer Beziehungen, sondern allgemeiner für (Wahrnehmungs-)Konstrukte in einem weiteren Kontext eingesetzt.
2 Elemente1
Zunächst werden Objekte ermittelt, die den Gegenstandsbereich repräsentieren, zu dem Konstrukte erfasst werden sollen. Diese Objekte werden Elemente genannt. Die Elemente sind demnach die Gegenstände, auf die sich die Konstrukte beziehen. Sie sind die Grundlage eines Konstruktsystems. Wäre man beispielsweise an Konstrukten bezüglich des Bereichs „Arbeitsplatz“ interessiert, könnten verschiedene Kollegen und Kolleginnen, aber auch Arbeitsbereiche, Aufgaben und dergleichen die Elemente bilden.
Im digitalen Bereich könnten Elemente diverse Varianten von Online-Angeboten sein: Online-Shops, Spiele, Social Media Anbieter. Entscheidend ist die Repräsentativität der Elemente für den in Frage stehenden Bereich.
Zur Gewinnung repräsentativer Elemente können verschiedene Strategien unterschieden werden:
Elemente können von Untersuchenden vorgegeben sein. Diese Strategie gewährleistet eine vergleichbare Operationalisierung des interessierenden Bereichs, birgt jedoch die Gefahr, dass Probanden mit unbekannten Elementen konfrontiert werden. Bezüglich des Beispiels „Arbeitsplatz“ könnten beispielsweise Aufgaben als Elemente gewählt werden, mit denen einzelne Probanden nicht vertraut sind. Neben der Repräsentativität der Elemente sollte eine gewisse Homogenität gewährleistet sein. Einzelne Elemente sollten nicht besonders hervorstechen, um zu vermeiden, dass Verzerrungen entstehen. So mag es sinnvoll sein, die einzige Sekretärin einer sechsköpfigen wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nicht gemeinsam mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe in die Menge der Elemente aufzunehmen, weil durch den Kontrast der jeweiligen Aufgabengebiete die Mitglieder der Arbeitsgruppe ähnlicher beurteilt werden, als dies der Fall wäre, wenn nur die Gruppenmitglieder vergleichbarer Ebenen beurteilt würden.
Elemente können zusammen mit den Probanden erarbeitet werden. Im gemeinsamen Gespräch werden so für die Probanden relevante Elemente generiert. So könnten Aufgaben zusammengestellt werden, die der Proband an seinem Arbeitsplatz zu erledigen hat. Diese Strategie hat den Vorteil, sich explizit auf Elemente beziehen zu können, die für die jeweiligen Probanden bedeutsam sind. Sollen Vergleiche zwischen verschiedenen Probanden gezogen werden, kann sich jedoch das Problem ergeben, dass zu unterschiedliche Elemente von den einzelnen Probanden genannt werden, als dass ein Vergleich möglich wäre.
Eine Mischstrategie ist denkbar, nach der von den Probanden generierte Elemente gemeinsam mit Elementen vorgegeben werden, die für den Untersuchenden relevant sind.
Die Zahl der vorzugebenden Elemente richtet sich grundsätzlich nach der Fragestellung. Scheer & Catina (1993, S. 30)2 weisen jedoch darauf hin, dass es nicht sinnvoll erscheint, weniger als sechs und mehr als 25 Elemente vorzugeben. Liegt die Zahl zu niedrig, muss die Repräsentativität in Zweifel gezogen werden. Ist sie zu hoch, besteht die Gefahr, redundante Informationen zu erhalten.
Elemente können auch nichtverbal sein. Denkbar sind z. B. Bilder, die bestimmte Situationen darstellen, aber auch Musikstücke oder sogar Gerüche. Entscheidend ist, ob die Elemente den Gegenstandsbereich angemessen abbilden. Darüber hinaus können die Elemente unterschiedlich komplex sein. Denkbar sind einerseits einzelne Objekte, wie z. B. eine Person oder aber auch ganze Situationen.
3 Konstrukte
In Kellys Personal Construct Theory (PCT) sind Konstrukte die grundlegenden Bausteine des menschlichen Denkens und Verstehens. Ein Konstrukt ist ein gedankliches Schema oder eine Dimension, die Menschen verwenden, um ihre Erfahrungen und die Welt um sie herum zu interpretieren, zu kategorisieren und zu bewerten. Diese Konstrukte sind bipolar, was bedeutet, dass sie aus zwei gegensätzlichen Polen bestehen (z. B. „gut-schlecht“, „freundlich-unfreundlich“, „sicher-unsicher“).
Menschen entwickeln ihre eigenen, einzigartigen Sets von Konstrukten basierend auf ihren persönlichen Erfahrungen. Diese Konstrukte helfen ihnen dabei, zukünftige Ereignisse vorherzusagen und Entscheidungen zu treffen. Da Konstrukte individuell sind, unterscheiden sich die Bedeutungen, die Menschen verschiedenen Ereignissen oder Erfahrungen zuschreiben, von Person zu Person; vermutlich sogar von Situation zu Situation. Kelly glaubte, dass das Verständnis dieser Konstrukte wichtig ist, um die persönliche Realität eines Individuums zu verstehen.
Eine Anekdote zur Veranschaulichung: Sie handelt von zwei kleinen Jungen, Jax und Reddy, aus Louisville, Kentucky, die im Jahr 2017 etwa fünf Jahre alt waren. Jax, ein weißer Junge, und Reddy, ein schwarzer Junge, waren beste Freunde und wollten ihre Lehrerin überraschen, indem sie gleich aussehen. Jax erzählte seiner Mutter, dass er sich die Haare genau wie Reddy rasieren lassen wollte, weil er dachte, dass die Lehrerin sie dann nicht mehr auseinanderhalten könne. Das Attribut Hautfarbe, das für die meisten von uns vermutlich eine Wahrnehmungsdimension darstellt, war für die Kinder eben keine. Sie hatten kein persönliches Konstrukt schwarz-weiß entwickelt.
Kurz: Im Zentrum von Kellys Interesse steht die Erforschung der individuellen Konstrukte, mit denen das Individuum seine Umgebung analysiert, versteht, strukturiert und letztlich in ihr zurechtkommt.
4 Durchführung3
Setting: Klassische Interview-Situation; eine Person frägt, eine wird befragt
Der folgende Ablauf bildet kein starres Korsett. Die Punkte sollten in einer entspannten Gesprächssituation bearbeitet werden. In jedem Fall den sollte der Eindruck einer Prüfunssituation vermieden werden!
- Thema einführen. Der Themenbereich sollte durch eine zusätzliche Phrase eingegrenzt und genauer beschrieben werden: “Im Folgenden möchte ich mich mit Ihnen über die Führungskompetenz von Managern, den Geschmack von Rotwein, die Effizienz von Energiesparmaßnahmen … unterhalten.”
- Elemente einführen (s. o.). Die Elemente können auf ganz unterschiedliche Art und Weise präsentiert werden: Bilder, Beschreibung, Video, direkte Interaktion,…
- Wichtiger Hinweis: Das Ziel der Befragung ist die Untersuchung der individuellen Wahrnehmung des Gegenstandsbereichs durch den/die Befragte:n; daher gibt es keine richtigen oder falschen Antworten
- Zufällige Auswahl von drei Elementen (erste Triade): Welche zwei dieser Elemente sind in einer Hinsicht gleich und unterschiedlich zum dritten?
- Was haben diese beiden Elemente gemein? Was unterscheidet sie vom dritten Element? Die übereinstimmende Eigenschaft bildet den emergenten oder Konstruktpol; die abgrenzende Eigenschaft bildet den impliziten oder Kontrastpol.
- Überprüfen, ob das Verständnis von fragender und befragter Person übereinstimmt. Diskussionen und Nachfragen sind ausdrücklich erlaubt! Für diese Diskussionen sollten die Wörter und Ausdrücke des Befragten verwendet werden.
- Laddering: Über folgende Art von Nachfragen kann der Auflösungsgrad des Konstrukts erhöht werden (wir steigen die Leiter nach unten). „In welcher Hinsicht sind die Elemente xyz“, „Wie meinen Sie xyz“, „Können Sie für xyz ein Beispiel geben“ etc. Anstatt des ursprünglichen sollte der detailliertere Pol verwendet werden.
- Konstrukt-Check: Klarer Kontrast, angebrachte Detaillierung, klarer Bezug zum Thema; Klischees, Fachjargon, hohlen Phrasen sollte mit wohlwollendem Misstrauen begegnet werden.
- Das Konstrukt wird als Ratingskala präsentiert. Links steht der Konstrukt-, rechts der Kontrastpol. Die Skala hat sieben (wahlweise fünf) Stufen. Ein Wert von 1 drückt hohe Übereinstimmung des Elements mit dem Konstruktpol aus. Ein Wert von 7 eine hohe Übereinstimmung mit dem Kontrastpol.
- Bewerten der drei Elemente der Triade mit Hilfe des Konstrukts.
- Schritte 4 bis 8 sollten wiederholt werden, bis keine neuen Konstrukte mehr gebildet werden können. Die Zahl der Konstrukte sollte in etwa bei acht bis zwölf liegen.
- Alle anderen Elemente werden anhand des Konstrukts bewertet.
5 Aufgabe (Vorbereitung & Grundlage für Bericht)
Führen Sie eine Repertory Grid Analyse zum Thema Soziale Medien durch. Erheben Sie Daten unter Einsatz der Repertory Grid Technik. Gehen Sie dazu folgendermaßen vor:
- Bilden Sie Zweier-/Dreierteams; eine Person wird befragt, eine führt das Gespräch (und dokumentiert; ggf. übernimmt das eine weitere Person).
- Führen Sie nach dieser “Proberunde” die tatsächlichen RGA-Interviews mit Vertreter:innen der Gen Z. Jede:r von Ihnen sollte mindestens ein Interview durchführen.
- Führen Sie ein RGA-Interview mit einem KI-Bot Ihrer Wahl durch. Diese Daten sollten nicht mit den Daten Ihrer anderen Versuchspersonen vermischt werden. Sie stellen eine gute Vergleichsmöglichkeit dar (z. B. “Mensch vs. Maschine – Empirischer Vergleich der Wahrnehmungsstruktur Sozialer Medien”). Zudem kann der Bot als Sparringspartner herhalten und Ihnen vielleicht auch Feedback zur Durchführung des Interview geben.
- Erheben Sie grundlegende Informationen zu Ihren Teilnehmer:innen; z. B. Geschlecht, Alter, Studiengang etc.
- Legen Sie in der großen Runde neun gemeinsame Elemente (→ Soziale Medien) fest, die Sie im Folgenden verwenden.
- Führen Sie die Schritte Schritt 4 bis 10 des obigen Schemas durch.
- Verwenden Sie zur Datenspeicherung die Excel-Vorlage (→ iLearn)
- Erfragen Sie die Ähnlichkeiten von Elementen; z. B. über Rating der jeweiligen \(n(n-1)/2\) Paare.
- Erfragen Sie die Präferenzen von Elementen. Lassen Sie die Elemente nach Präferenz sortieren oder bewerten.
- Führen Sie alle Daten in einem online verfügbaren Dokument zusammen.
- Bringen Sie die Daten in eine für die Analyse geeignete Struktur. Orientieren Sie sich an unseren Beispielen aus den Vorlesungsterminen.
- Analysieren Sie die Daten mit den Methoden der vorhergehenden Veranstaltungstermine: Clusteranalyse, Faktorenanalyse, Mehrdimensionale Skalierung. Ignorieren Sie bei der Wahl der Methoden mögliche Anforderungen an die Daten. Auf welche Weise könnten wir die Verfahren hier zum Einsatz bringen?
- Erstellen Sie ein Quarto-Dokument mit den Ergebnissen Ihrer Analysen.
- Lassen Sie sich ggf. bei allen Schritten von KI-Bots unterstützen. Das ist ausdrücklich gestattet und gewünscht.
Die Ergebnisse dieser Aufgabe bilden zumindest einen Teil der Grundlage für Ihren Bericht!
Hinweise und Anregungen zur Analyse:
- Die Ähnlichkeiten zwischen den Sozialen Medien können Sie mit Hilfe einer MDS untersuchen.
- Mit Hilfe der Faktorenananlyse können Sie die Konstrukte zusammenführen; ggf. können Sie hier auch die Präferenzratings verwenden.
- Die Clusteranalyse kann verwendet werden, um zu prüfen, ob die Faktorenstruktur durch die Clusterbildung unterstützt wird. Stimmen beide mit dem Bild überein, das die MDS zeichnet?
- Zudem können Sie mittels Clusteranalyse die Sozialen Medien im (reduzierten) Raum gruppieren, den die Faktorwerte aufspannen.
Footnotes
Auszüge aus http://www.beltz.de/fileadmin/beltz/downloads/OnlinematerialienPVU/DifferentiellePsychologie/6.5_Die%20Repertory%20Grid%20Technik.pdf↩︎
Scheer, J. W. & Catina, A. (1993). Einführung in die Repertory-Grid-Technik. (Bd. Band 1 und 2). Bern: Huber.↩︎
Jankowicz, D. (2004). The Easy Guide to Repertory Grids. Chichester: John Wiley.↩︎